Ein neuer Akteur auf der Weltbühne
Seit mehreren Jahren stellt das
Erstarken des „Islamischen Staates“ im Nahen Osten eine erhebliche Gefährdung
für die Stabilität der Region dar. Ziel der Organisation ist die Errichtung
eines Gottesstaates nach den Gesetzen der Scharia und eine Ausweitung der
Herrschaft über das Gebiet des Nahen Ostens hinaus. Vom Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen sowie von nationalstaatlichen Regierungen wird der IS als
terroristische Vereinigung eingestuft. Auch muslimische Gelehrte lehnen das
IS-Kalifat ab und haben sich in einem offenen Brief von der Organisation
distanziert. Doch was ist eigentlich der „Islamische Staat“? Wie finanziert und
organisiert er sich? Und welche ökonomischen, politischen und rechtlichen
Gegenstrategien sind möglich?Thematische Einordnung
Ist der IS aus völkerrechtlichter Perspektive ein Staat?
Die
völkerrechtliche Einordnung des Islamischen Staates ist relativ kompliziert. Barack Obama sagte im September 2014
dazu: „The Islamic State is neither Islamic nor a state“. Als Begründung
für den zweiten Teil seiner Aussage nennt er, dass der IS als Zweig der
Al-Qaida im Irak herausgebildet habe, der weder von den Regierungen der Welt,
noch von den ihm unterworfenen Personen anerkannt werde. Es handle sich um eine
terroristische Organisation.
Nach der
Drei-Elementen-Lehre von Georg Jellinek muss ein mögliches Staatsgebilde drei
Merkmale aufweisen, um als Staat und somit als Völkerrechtssubjekt zu
existieren. Zunächst muss eine effektive Staatsgewalt vorliegen. Der IS
operiert zwar unabhängig von anderen Staaten und verfügt über einen
funktionierenden Staats- und Verwaltungsapparat. Allerdings kann zum jetzigen
Zeitpunkt die Dauerhaftigkeit dieser Staatsgewalt noch nicht bestätigt werden.
Zudem ist die Staatsgewalt des Iraks und Syriens noch vorhanden ist, demnach
liegt kein Gewaltmonopol des IS vor. Das zweite Merkmal ist das Vorhandensein
eines Staatsvolkes. In den Gebieten, die der IS beherrscht, leben acht
Millionen Menschen, die zu einem großen Teil der sunnitischen
Religionsgemeinschaft angehören. Jedoch sind sie keine Staatsbürger des IS. Das
letzte Merkmal ist das Staatsgebiet: Der IS kontrolliert ein Gebiet, was nach
Eroberungen und Rückeroberungen variiert. Zudem gehört dieses Gebiet noch zu
Irak und Syrien, also nicht zum Territorium des IS. Zu fast jedem der drei
Staatsmerkmale lassen sich Unterstützungs- und Gegenpositionen finden. Die
Einordnung des IS als Staat ist folglich nicht eindeutig und fordert zudem
unser Staatsdenken heraus (Janik: 2015). Es ist festzustellen, dass allenfalls
der IS sich selbst als Staat sieht, es jedoch sehr unwahrscheinlich ist, dass ein
Regierung ihn in der nächsten Zeit als ein solches Gebilde anerkennen wird.
Der Islamische Staat als Form des transnationalen Terrorismus?
Nach dem Politikwissenschaftler
Schneckener existieren insgesamt drei Typen von Terrorgruppen, in welche sich
fast alle existierenden Terrororganisationen einordnen lassen: der national
agierende Terrorismus, der international operierende und der transnationale
Terrorismus (Schneckener: 2002).
Laut
Schneckener spricht man vom national
agierenden Terrorismus oder internen Terrorismus, wenn „Terroristen innerhalb ihres Heimatstaats
Gewalt gegen andere Bewohner ausüben, daß heißt Täter und Opfer besitzen
möglicherweise die gleiche Staatsangehörigkeit oder leben zumindest auf dem
gleichen Staatsgebiet.“ (Schneckener: 2006). Diese Gruppen sind bestrebt
die nationalen Ordnungen zu verändern und verüben die allermeisten Attentate im
Inland. Diese Form des Terrorismus
existiert bereits seit dem Beginn von
moderner Staatlichkeit und findet sich gehäuft im 19. und 20. Jahrhundert.
Typischerweise verfügen diese Terrororganisationen im Inland auch über einen „politischen Arm, der zum Teil auch
parlamentarisch aktiv ist“ (Schneckener: 2006) . Kommt es zu Kooperationen
mit auswärtigen Akteuren, so sind diese ausschließlich pragmatischer Natur und
helfen den Gruppen primär bei ihrer logistischen Organisation. Als Beispiele
für diese Form des Terrorismus kann man die irische IRA, die italienischen
Roten Brigaden sowie die baskische ETA nennen.
Der Übergang vom national agierenden zum international operierenden Terrorismus
kann fließend sein und die meisten Terrororganisationen entwickeln sich erst im
Laufe ihrer Geschichte zu international operierenden Terrororganisationen. Für
diese Form des Terrorismus gibt es zwei weitgehend anerkannte Definitionen. „The term international terrorism means terrorism
involving citizens or the territory of more than one country.“ definiert
das Außenministerium der USA den internationalen Terrorismus (United States
Department of States: 2003) . Konkreter und detaillierter wird die Definition
der RAND Studie, die Terrorismus wie folgt definiert: „incidents in which terrorists go abroad to strike their targets, select
victims or targets that have connections with a foreign state, or create
international incidents by attacking airline passengers, personnel, or
equipment.“( RAND Studie: 1986).
Streben
die Terroristen auch bei dem internationalen operierenden Terrorismus weiterhin
die Änderung einer nationalen Ordnung an, so agieren sie doch bewusst auf der
internationalen Ebene, um ihre Forderungen weltweit bekannt zu machen, für sie
zu werben, und Druck auf die nationalen Regierungen auszuüben. Die PFLP der
60er Jahre gilt als „Prototyp“ dieser Form des Terrorismus (Schneckener: 2006).
Der transnationale Terrorismus ist eine Weiterentwicklung aus den
beiden zuvor erwähnten Terrorismuskonzepten, welcher einige
Terrorismusorganisationen des 21. Jahrhunderts auszeichnet. Als „Prototyp“ gilt
die Organisation „Al Qaida“(Schneckener: 2006).
Den transnationale Terrorismus kennzeichnen bestimmte Charakteristika,
die ihn vom „alten, traditionellen Terrorismus“ unterscheiden. Die wichtigsten
Merkmale werden im Anschluss kurz genannt und erläutert.
Hauptziel
der transnationalen Terrorist_innen ist es nicht mehr, die nationale Ordnung
„umzustürzen“, sondern die internationale oder zumindest die regionale Ordnung
als Gesamtes zu verändern. Dabei wendet sich die Gruppe meist gegen den
vermeintlichen Hegemon der Weltgemeinschaft oder einer bestimmten Weltregion
und agiert über staatliche Grenzen hinaus (Schneckener: 2006).
Mit
einer transnationalen Ideologie und der Schaffung eines globalen bzw.
regionalen Feindbilds versuchen transnationale Terrorgruppen ihre Mitglieder
aus unterschiedlichen Gebieten der Welt zu „rekrutieren“. „Der transnationale
Terrorist [ist] seinem lokalen Milieu entwachsen, er ist letztlich heimatslos
und ein moderner Nomade. Er besitzt zwar eine Herkunft und eine
Staatsbürgerschaft, die aber für seine Aktivitäten relativ bedeutungslos sind.“
(Schneckener: 2006) Ein weiteres Charakteristikum des transnationalen
Terrorismus ist demnach die multinationale Mitgliedschaft seiner Anhänger.
Religiös fundamentalistische Ideologien eignen sich laut Schneckener besonders
gut als transnationale Ideologien, da sie am ehesten fähig sind „nationale,
kulturelle, [...] und sprachliche Unterschiede“( Schneckener: 2006) zu
überwinden und Mitglieder aus verschiedenen Nationen zu vereinen, die für ein
gemeinsames Ziel kämpfen. Die Organisation des Islamischen Staats ist am
ehesten der Gruppe des transnationalen Terrorismus zuzuordnen. Bereits seit Ende 2012 konnte diese
Organisation mehr als 15.000 Menschen aus der ganzen Welt motivieren, nach
Syrien auszureisen um in den Jihad zu ziehen.
Des
Weiteren zeichnet die Organisation durch eine transnationale Ideologie aus,
genauer gesagt bedient sich der Islamische Staat einer salafistisch-
dschihadistischen Ideologie. Der Salafismus ist eine Form des sunnitischen
Islamismus, dessen Anhänger es sich zum
Ziel gesetzt haben, ihr Leben nach dem Vorbild des Propheten Mohammed
auszurichten. Dabei berufen sie sich auf eine „idealisierte Gesellschaft des
Ur-Islams“ (Steinberg: 2012) des siebten und achten Jahrhundert und wollen
diese wiederherstellen. Als Unterkategorien des Salafismus werden in der
Literatur der salafistische Dschihadismus und Purismus, sowie der politische
Salafismus genannt. Der Islamische Staat ist am ehestem der
dschihadistisch-salafistischen Bewegung zuzuordnen, da diese den bewaffneten
Kampf als heiligen Krieg ansieht, den alle frommen Muslim_innen unterstützen
sollten, bzw. gar verpflichtet seien sich diesem anzuhängen. Dieser heilige
Krieg richtet sich dabei gegen Nichtmuslim_innen und alle Muslim_innen, die den
Glauben in seiner modernen Form ausleben (für den Islamischen Staat vor allem
die Shiiten) und welche als „Ungläubige“ verurteilt werden.
Ziel
des Islamischen Staats ist insbesondere die Errichtung eines weltweiten
Kalifats, welches der derzeitige Anführer Abu Bakr al Baghdadi am 4. Juli 2014
ausrief. Der Begriff des Kalifats tritt das erste mal im 7. Jahrhundert auf, in dem die vier
„rechtgeleiteten Kalifen“ über weite Teile der arabischen Halbinsel und
Nordafrikas herrschten, sie galten als die direkten Nachfolger des Propheten
Mohammeds. Indem Abu Bakr al Bagdadi die
Rolle eines heutigen Kalifen einnimmt, beansprucht er somit ebenfalls die direkte Nachfolge des
Propheten Mohammed als politisches und religiöses Oberhaupt der Muslime und
regiert damit der Ideologie nach als „Stellvertreter“ Gottes auf Erden. Durch
seine Stellung als Kalifen beansprucht er universalen Herrschaftsanspruch für
alle Muslime, unabhängig davon auf welchem Territorium sie leben (Steinberg:
2014). Mit dieser Motivation sind auch die Expansionsbestrebungen des
Islamischen Staats zu erklären. Innerhalb dieses Kalifats soll die Scharia, das
islamische Recht, durchgesetzt werden.
Anders
als andere transnationale terroristische Gruppen bedient sich der Islamische
Staat keiner typischen dezentralen Netzwerkstruktur, bei der die die jeweiligen „Ableger“ über
Länder und Kontinente hinweg sehr gut miteinander verknüpft sind (Beispiel: Al
Qaida). Vielmehr kann der Islamische Staat
auf eine hierarchische Struktur zurückgreifen, die sich allmählich zu einem
Staatsapparat entwickelt (zumindest innerhalb seines unter Kontrolle gebrachten
Territoriums). Anders als herkömmliche Terrorismusgruppen ist der Islamische
Staat finanziell und personell stark genug aufgestellt, um nicht aus dem
Untergrund agieren zu müssen; er kann sich somit einer symmetrischen Kriegsführung
bedienen.
Wie finanziert sich der Islamische Staat?
Der Islamische
Staat - reichste Terrororganisation oder ärmster Staat der Welt (Pizzi: 2014)?
Der IS stellt die politische Ökonomie des Terrorismus vor neue
Herausforderungen. Seine Organisationsstrukturen, die Akquirierung finanzieller
Mittel, seine schnelle Ausbreitung und die Bestimmtheit, mit der er seine Macht ausweiten möchte, reichen über
bisherige ökonomische Modelle, die Maßnahmen gegen terroristische Aktivitäten
vorschlagen, hinaus. Dennoch sollte sich die Frage gestellt werden, wie der IS
ökonomisch geschwächt werden kann, um seine Einflussnahme in der Region
zurückzudrängen.
Obenstehendes
Diagramm stellt die unterschiedlichen Ressourcen des IS dar. Auffällig hierbei
ist die Autonomie der Terrorganisation von externen Geldgeber_innen.
Über 50%
seiner Einnahmen bezieht der IS aus der Förderung und dem Verkauf natürlicher
Ressourcen, allen voran Erdöl. Das geförderte Öl bzw. Erdgas wird an
unterschiedliche Abnehmer_innen verkauft: IS-Anhänger_innen, Schiit_innen,
Kurd_innen usw., die das Öl weiterverkaufen. Es wird zum Endverbrauch meist
weiter in den Iran, nach Jordanien und die Türkei transportiert. Man vermutet,
dass der Ölpreis des IS momentan bei 18 US-Dollar/ Barrel (Belli et al. 2014) liegt,
wobei der derzeitige normale Ölpreis ca. 60 US-Dollar/Barrel beträgt (Vgl.
www.finanzen.net/rohstoffe/oelpreis). Über
die ausgebaute Schattenwirtschaft gelangt der Islamische Staat zu sehr großen
Einnahmen im Vergleich zu anderen Terrororganisationen. Insgesamt werden die
gesamten Vermögenswerte innerhalb des Einflussbereichs des IS auf ca. 2 Billionen
US-Dollar geschätzt, mit einem Jahreseinkommen von ungefähr 2,9 Milliarden
US-Dollar (Brisard/Martinez 2014: 3).
Um den
Handlungsspielraum des IS einschränken zu können, müssen die Handelswege der
Schattenwirtschaft unterbrochen werden. Hierfür gibt es verschiedene
Möglichkeiten, welche später anhand eines rationalen Entscheidungsmodells nach
Bruno Frey und Simon Lüchinger diskutiert werden.
Gegenstrategien I – Die Luftangriffe
Völkerrechtliche Legitimation
Seit September
2014 führt eine Koalition aus 13 Staaten unter Führung der USA Luftangriffe
gegen den IS in Irak und Syrien durch. Hier stellt sich die Frage nach der
völkerrechtlichen Legitimation dieses Einsatzes, schließlich wird die
Souveränität der beiden Staaten eingeschränkt. Für die beiden Länder ist diese
Frage unterschiedlich zu beantworten.
Die USA
rechtfertigen ihr Eingreifen in die Souveränität des Iraks mit der Zustimmung
der irakischen Regierung, für sie das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51
UN-Charta wahrzunehmen. Diese habe sie ausdrücklich um Unterstützung im Kampf
gegen den IS gebeten. International wird die Intervention im Irak als
gerechtfertigt und somit als völkerrechtskonform bewertet (Kehlbach: 2014).
Im Falle
Syriens ist die Beurteilung der Lage weniger eindeutig. Die USA argumentieren,
dass die Angriffe auf die IS-Stellungen in Syrien durch das
Selbstverteidigungsrecht des Iraks gedeckt seien, da der Irak von diesen
Stellungen aus bedroht werde (Kehlbach: 2014). Diese Rechtfertigung gilt als nicht ausreichend, da der verfügbare legale
Weg von den USA ausgeschlagen wurde – nämlich eine Zustimmung Syriens zu
erlangen. Um Rechtssicherheit zu schaffen, müsse eine Zustimmung Syriens
vorliegen, was jedoch einen massiven Gesichtsverlust für die USA bedeutet, da
man dies als Kooperation der beiden Staaten auslegen könnte (Monath: 2014).
Eine andere
Möglichkeit, wäre ein UN-Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta. Die
Feststellung der Friedensgefährdung nach Artikel 39 UN-Charta ist Voraussetzung
für ein Mandat aufgrund von Artikel 41 und 42 der UN-Charta: Nachdem eine
Friedensgefährdung durch den UN-Sicherheitsrat festgestellt wurde, können von
ihm Maßnahmen getroffen werden, die das Ziel haben, die internationale
Sicherheit wieder herzustellen. Auf diese Weise ließe sich eine militärische
Intervention gegen den IS in Syrien rechtfertigen; angesichts des zu
erwartenden Vetos von Russland und China im Sicherheitsrat bestehen kaum
Chancen für ein solches Mandat.
Macht(un)gleichgewicht im Nahen Osten
Um die
Luftangriffe der USA und ihrer Koalitionspartner auf die Stützpunkte des
Islamischen Staats in Syrien und im Irak bessert verstehen zu können, werden
die Machtverhältnisse im Nahen Osten in diesem Beitrag aus einer
neorealistischen Perspektive nach Kindleberger betrachtet (Kindleberger: 1981) .
Der Theorie nach handeln die Staaten egoistisch und zweckrational, da das
internationale System von Anarchie gekennzeichnet wird , also der Abwesenheit
von einer Macht, die Regeln aufstellen und durchsetzen kann. Aus diesem Grund
streben die Staaten nach einem Machtgleichgewicht im System, damit es nicht zur
Dominanz eines einzelnen Akteurs kommen kann, der über die anderen bestimmt.
Die Bildung von Allianzen dienen nur dem Zweck der Ausbalancierung der Macht der
verschiedenen Staaten und sind nicht von Dauer.
Es ist möglich
den Konflikt aus der vorgestellten Perspektive wie folgt zu betrachten: Im
Nahen Osten und Mittleren Osten gibt es zunächst nach der Meinung vieler
Autoren zwei Staaten, die die regionale Hegemonie anstreben, einerseits das
sunnitische Saudi Arabien und andererseits der schiitische Iran (Khwais: 2014).
Mit dem Rückzug der US amerikanischen
Truppen aus dem Irak 2011 und dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 2012 ist in
der Region ein Machtvakuum entstanden welches durch die beiden regionalen
Mächte nicht zufriedenstellend ausgefüllt werden konnte. Gerade im syrischen
Bürgerkrieg wurde dies mehr als deutlich: Unterstützten die iranische Regierung
das alawitisch geführte Assad Regime, waren Länder wie Saudi Arabien besonders daran
interessiert, die hauptsächlich sunnitischen Rebellen im Bürgerkrieg gegen
Assad zu unterstützen, um das alawitische
Regime Assads stürzen zu können. Gerade in der Anfangszeit wurden somit
extremistisch sunnitische Gruppen sowohl von Saudi Arabien als auch Katar
finanziell unterstützt, was dazu beitrug, dass sich der „Islamische Staat“ als
neuer Akteur im Nahen Osten etablieren konnte (Khwais: 2014). Das Erstarken des
„Islamischen Staats“, welcher durch sein expansives Handeln nach der
neorealistischen Theorie ebenfalls danach strebt,
ein regionaler Hegemon zu werden, hat den Nahen und Mittleren Osten in ein
multipolares System der Mächte verändert, da sowohl der Iran als auch Saudi
Arabien zu schwach waren um das entstandene Machtvakuum auszufüllen. Dies hat zu großer Unsicherheit und
Instabilität in der Region geführt, welche nicht nur im syrischen Bürgerkrieg
und der Bekämpfung der Truppen des IS in Irak und Syrien deutlich wird, sondern
auch in der derzeitigen Jemen-Krise.
Abbildung 2: Regionalmächte
Was haben die USA bisher getan um dieses entstandene Mächteungleichgewicht und den Islamischen Staat zu bekämpfen?
«Ich
will, dass die Amerikaner verstehen, wie dieser Einsatz sich von den Kriegen im
Irak und in Afghanistan unterscheiden wird. Er wird keine amerikanischen
Gefechtstruppen beinhalten, die auf ausländischem Boden kämpfen. Diese Kampagne
zur Terrorismusbekämpfung wird durch einen stetigen, unerbittlichen Einsatz
geführt, den IS auszuschalten, wo auch immer er existiert, indem wir unsere
Luftmacht und die Unterstützung unserer Partnerkräfte am Boden nutzen.» Barack Obama
Wie bereits
oben erklärt wurde, handelt es sich bei dem „Islamischen Staat“ um eine
transnationale Terrororganisation die über Teile des Iraks und Syrien de facto
Herrschaftsgewalt ausübt und zumindest in begrenzten Teilen staatliche
Strukturen aufweist. Da diese Terrororganisation die Souveränität der Staaten
Syrien und Irak verletzt sowie eine Reihe von Verbrechen wie Sklaverei,
Vergewaltigungen und Exekutionen gegen Teile der dort lebenden Bevölkerung
verübt und das Machtgleichgewicht des Mittleren und Nahen Osten aus der Balance
bringt, gibt es ein erhebliches Interesse der internationalen Gemeinschaft den
Islamischen Staat an der „Eroberung“ weiterer Territorien zu hindern und ihn in
seiner Organisation als Ganzes zu destabilisieren.
Seit August
letzten Jahres fliegen die USA in Kooperation mit einigen europäischen Staaten,
aber auch mit sunnitischen Verbündeten im Nahen Osten, namentlich Saudi
Arabien, Bahrain, Katar und den Arabischen Emiraten Luftangriffe auf die
Stützpunkte des Islamischen Staats. Insbesondere Saudi Arabien gilt als langjähriger
Verbündeter der USA, da die beiden Staaten ähnliche Interessen in der Region verfolgen. Zunächst
fand diese Intervention wie bereits oben erklärt nur auf dem Staatsgebiet des
Iraks statt, wurden aber im Laufe der Zeit auf das Territorium Syriens
ausgeweitet.
Des Weiteren
unterstützt die US Regierung aber auch die eigens ausgebildete irakische Armee,
die im Nordirak gegen den Islamischen Staat kämpft. Da diese jedoch relativ
schwach ist, wird davon ausgegangen, dass die USA schiitische Milizen, die vom
Iran finanziert werden, de facto mitfördert. Auch die Verständigung über
Eckpunkte bei dem internationalen Nuklearabkommen mit dem schiitisch regierten
Iran hat zu großen Spannungen zwischen Saudi Arabien und den USA geführt, aber den Iran wieder auf die internationale
Politikbühne zurückgeholt.
Dementsprechend
ist fraglich, was genau die USA mit ihrer derzeitigen Intervention im Nahen
Osten bezwecken wollen. Einerseits scheint es ihnen wichtig, Saudi Arabien
weiterhin zu unterstützen und somit möglicherweise eine hegemoniale Stabilität
unter der „unipolaren“ Macht Saudi Arabiens herbeizuführen (siehe hegemoniale
Stabilitätstheorie: Gilpin: 1987, Kindleberger:
1981), andererseits sind sie durchaus bemüht, die Macht Saudi Arabiens durch
die politische Integration des schiitisch geführten Iran auszubalancieren und
könnten somit daran interessiert sein ein stabiles bipolares System
herbeizuführen (siehe Mearsheimer: 2001).
Fest steht
zumindest, dass das Hauptziel der USA im Nahen im Moment die Zerstörung des IS
und die Herbeiführung einer regionalen Stabilität ist. Erst in der Entwicklung
des Konflikts wird man allerdings evaluieren können, welche Strategie die USA
dabei konkret verfolgen und wie erfolgreich diese ist.
Gegenstrategien II – Alternative Möglichkeiten
Terrorismusbekämpfung im Rahmen des
Völkerrechts
Im Völkerrecht
gibt es vier Mechanismen, im Rahmen derer gegen Terrorismus vorgegangen werden kann (Meszáros: 2007). Dies sind
zum Einen Vertragstexte, die von der UN-Generalversammlung angenommen werden
und vorher im Rahmen der UN oder von Staatenkonferenzen ausgearbeitet worden
waren. Diese haben das Ziel, die unterschiedlichen Rechtsordnungen der Staaten
in Bezug auf Terrorismus zu harmonisieren und auf diese Weise sogenannte „Safe Havens“ zu verhindern. Es
handelt sich um sachbezogene Normengesetze gegen spezifische, häufig
auftretende terroristische Handlungen, die Straftatbestände formulieren. Seit
1963 wurden 13 Konventionen und drei Protokolle zu dem Thema verabschiedet. Es
ergeben sich jedoch drei Probleme: Erstens kann der Problemgegenstand nicht
umfassend verrechtlicht werden, da die Ausprägungen sehr vielfältig sind. Dafür
wäre beispielsweise auch eine allgemein gültige Definition wichtig, um auf
diese Weise eine möglichst große Zahl an Tatbestandsmerkmalen zu erfassen.
Diese ist jedoch noch nicht vorhanden. Des Weiteren existiert auf
internationaler Ebene kein wirksames Verfahren der Rechtsdurchsetzung, das die
Einhaltung der Konventionen kontrollieren könnte.
Das zweite
Instrument gegen den Terrorismus ist das Völkerstrafrecht im Rahmen der
Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs. Vor dem IStGH in Den Haag
können eine Reihe von internationalen Verbrechen angeklagt werden, die in
Artikel fünf des IStGH-Statut aufgelistet sind: Genozid, Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, Völkermord und Verbrechen der Aggression. Terrorismus ist nicht
als eines dieser Verbrechen eingestuft, er kann demnach nicht vor dem
Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden. Im März dieses Jahres wurde
jedoch ein Bericht des Hohen Kommissariats für Menschenrechte der Vereinten
Nationen veröffentlicht, in dem der IS des Völkermordes gegen die religiöse
Gemeinschaft der Jesiden beschuldigt wurde. In diesem Fall könnte der IS bzw.
Akteure des IS vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden.
Als Drittes
sind die Regelungen in der UN-Charta zu erwähnen. In dieser wird der
Terrorismus jedoch nicht erwähnt, da es sich ursprünglich um eine
Konfliktregelung zwischen Staaten handelte und nicht um dieses neue Phänomen
der privatisierten Gewalt. Durch die veränderte Bedrohungslage hat sich das
Völkerrecht gewohnheitsrechtlich weiterentwickelt, indem sich auf internationaler Ebene eine Reihe von
konkretisierenden Interpretationen der Charta-Artikel etabliert hat. Hierbei
ist z.B. das IGH-Urteil zum Nicaragua-Fall aus dem Jahre 1986 zu erwähnen, in
dem entschieden wurde, dass bewaffnete Angriffe nach Artikel 51 der UN-Charta
auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen können, sofern diese Angriffe
einem Staat zuzuschreiben sind.
Die vierte
Möglichkeit sind UN-Sicherheitsrats-Resolutionen. Der Sicherheitsrat trägt die
Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit.
Vor dem 11. September 2001 wurden Akte des Terrorismus nur dann als Bedrohung
des Friedens deklariert, wenn sie einem Staat zuschreibbar waren. Mit den
Terroranschlägen änderte sich diese Wahrnehmung überwiegend: jegliche Akte des
internationalen Terrorismus wurden als Bedrohung der internationalen Sicherheit
und des Weltfriedens angesehen unabhängig davon, ob sie einem Staat
zuzuschreiben sind. Als Reaktion verabschiedete der Sicherheitsrat der
Sicherheitsrat zwei Resolutionen, die das Recht zur Selbstverteidigung
festlegte und konkrete Verpflichtungen für Mitgliedsstaaten zur Bekämpfung des
Terrorismus regelte. Auch am 24. September 2014 – zeitgleich zur militärischen
Intervention in Irak und Syrien - formulierte der UN-Sicherheitsrat eine Resolution,
mit der das Reisen für mutmaßliche Terroristen in die besagten Gebiete
verhindert werden sollte.
Eine ökonomische Analyse des IS-Terrorismus
Die
Möglichkeiten gegen den IS vorzugehen, scheinen vielfältig zu sein:
Kriegerische Intervention, Unterbindung der Schattenwirtschaft, Ausschluss des
IS aus dem internationalen Bankensystem... Doch welche Maßnahmen können ihn
tatsächlich schwächen? Sind ökonomische Modelle in der Lage darüber eine
Aussage zu treffen und mögliche Konsequenzen von Gegenstrategien einzuschätzen?
Basierend auf
dem rationalen Entscheidungsmodell haben Bruno Frey und Simon Lüchinger ein
Modell aufgestellt, an dem Annahmen getroffen werden können, inwiefern sich
verschiedene Gegenstrategien aus der Anti-Terrorismuspolitik auf die Anzahl
bzw. das Ausmaß der Terroraktivitäten auswirken.
Grundlegende
Kenntnisse über den Terrorismus aus ökonomischer Sicht:
Hierbei gehen sie von einem Gleichgewicht der Grenzkosten und des Grenznutzens aus. Grenzkosten und Grenznutzen bezeichnen den Anstieg einer Aktivität bei der Durchführung einer zusätzlichen Einheit. In anderen Worten geben die Grenzkosten die Veränderung der Kosten bei Erhöhung der Terroraktivitäten um eine Einheit an. Die Terroraktivitäten werden im Fall des IS an der Anzahl der Ölanlagen gemessen, die er unter seine Kontrolle gebracht hat, da er da durch seinen Handlungsspielraum enorm vergrößert und somit große Teile der irakischen und syrischen Bevölkerung unter seine Kontrolle bringen kann. Die Grenzkostenkurve hat eine positive Steigung, da die Eroberung jeder weiteren Ölanlage pro teurer wird, weil dies mit größeren materiellen Ressourcen, größerer Informationsbeschaffung, sowie Opportunitätskosten für die benötigte Zeit der Vorbereitung verbunden sind.
Die Grenznutzen reflektieren die Fähigkeit
einer Gesellschaft auf die Eroberung der Ölanlagen zu reagieren. In diesem
Modell verläuft die Grenznutzenkurve
fallend, was bedeutet, dass der marginale Effekt selbst bei dem Versuch sich
weiter auszubreiten für die Terrorist_innen abnimmt, weil die Gesellschaft
unverwundbarer gegenüber der Eroberung wird, da sie die Anlagen besser sichert
bzw. bereits eroberte zurückerlangt. Somit schmälert sich der marginale Nutzen
der Terrorist_innen.
Die Anzahl der
Ölanlagen befindet sich (wie in Abbildung 3 zu sehen ist) auf der X-Achse und
die Grenzkosten/Grenznutzen auf der Y-Achse.
Abbildung 3: Modellannahme
Für den IS
bedeute das folglich: „Wenn das Ausmaß des Terrorismus an der ‚Anzahl der
IS-Ölanlagen’ gemessen wird, steigen mit vermehrten Angriffen auf weitere
Anlagen die Kosten der Aktivitäten des IS immer weiter.“ So ist davon
auszugehen, dass der IS zunächst die am leichtesten zu erobernden Felder
eingenommen hat. Weitere Eroberungen allerdings nur mit steigendem Aufwand
ermöglicht werden können. Relativ gesehen zur Eroberung einer weiteren Einheit
wird nun mehr Einsatz in Form von Waffenarsenal, Kämpfer_innen, Informationen
und Ressourcen benötigt.
Darüber hinaus
ist anzunehmen, dass im Vergleich zu anderen Terrororganisationen die Grenzkostenkurve
des IS relativ steil verläuft. Die Steigung gibt das Maß an Elastizität an. Im
Zusammenhang mit Terrorismus wird dies wie folgt interpretiert: „Verläuft die
Grenzkostenkurve relativ flach, reagieren die Akteur_innen stark auf äußere
Einflüsse und sind nur in gewissem Maße dazu bereit neue Kosten für die
Realisierung ihrer Aktivitäten aufzunehmen. Denn die empirische Forschung hat
gezeigt, dass Terrorist_innen nicht allein aus idealistischen Motiven getrieben
werden, sondern auch ökonomische/materialistische Faktoren eine Rolle spielen (Vgl
Sandler/Scott 1987: 37, die in ihrer empirischen Studie zum Ergebnis kamen,
dass Terroist_innen systemisch auf Änderungen der Einschränkungen reagieren). Konkret
bedeutet dies, dass Akteur_innen bei einer relativ kleinen Erhöhung der
Grenzkosten durch äußere Einflüsse weniger bereit sind, weitere Terrorakte
durchzuführen.
Abbildung 4: Elastizitäten |
Nun zeigt eine steile
Grenzkostenkurve an, dass der IS nur relativ schwach auf äußere Einflüsse
reagiert. Die radikalen Ziele des IS mit der Ausrufung eines Kalifats und der
Befreiung der Arabischen Welt vom Einfluss des Westens weisen eine starke
intrinsische Motivation auf (Barret 2014: 18). Daher sind die Akteur_innen auch
dazu bereit hohe Kosten aufzunehmen für eine nur relativ kleine Steigerung der
Terroraktivitäten. Im nebenstehenden Diagramm wird beispielhaft die
Grenzkostenkurve von Al-Quaida und dem IS verglichen, um die unterschiedlichen
Steigungen der Gerade anzuzeigen und die Auswirkung auf die Terroraktivitäten. Für
die wirksame Implementierung von Gegenstrategien bedeutet dies eine weitere
große Herausforderung. Die Frage, die sich die Akteur_innen der internationalen
Gemeinschaft stellen müssen, ist: „Wie
können die Grenzkosten so stark erhöht werden, dass das reale Ausmaß an
Terroraktivität sinkt?“ – oder: „...,
dass der IS nicht mehr im Stande ist seine Ölanlagen zu halten?“
Die fallende
Grenznutzenkurve ist abhängig von der Fähigkeit der Gesellschaft auf die
Terroraktivitäten zu reagieren. Meist ist eine Gesellschaft unvorbereitet auf
erste Terroranschläge angemessen zu reagieren, weshalb sie diese stark treffen
und den Terrorist_innen zunächst einen hohen Grenznutzen verschaffen. Im
weiteren Verlauf schaffen es Regierungen im Normalfall Maßnahme zu
implementieren, um sich gegen die Anschläge zu schützen. Deshalb fällt im Laufe
der Zeit die Grenznutzenkurve der Terrorist_innen. Im Fall des IS könnte man allerdings
argumentieren, dass diese Kurve einen positiven Verlauf hat. Hierfür wäre zu
untersuchen, ob die irakische und syrische Bevölkerung durch die
Terroraktivitäten noch verwundbarer wird und so der marginale Nutzen der
IS-Aktivitäten sogar steigend ist. Dabei ist ein dauerhaft steigender Verlauf
sehr unrealistisch, da sowohl die irakische Regierung, wie auch die internationale
Gemeinschaft bereits breite Gegenmaßnahmen angelegt haben, um den Grenznutzen
zu verkleinern. Allerdings kann es zu kritischen Schwellen im fallenden Verlauf
der Grenznutzenkurve kommen, sodass sie zeitweise wieder steigend ist.
Beispielsweise wird sämtliche Infrastruktur zerstört oder die irakische Armee
massiv geschwächt, sodass dies für den IS einen kurzweilig steigenden
Grenznutzenverlauf bedeutet. Diese Untersuchung muss im vorliegenden Kontext
allerdings zurück gestellt werden. Im Folgenden wird die Konzentration auf dem
Verhalten der internationalen Gemeinschaft liegen und mögliche Gegenstrategien
basierend auf Erwartungsvorstellungen anhand dieses Modells durchgespielt.
Das Modell
geht davon aus, dass entweder die Grenzkosten erhöht oder der Grenznutzen der
Terrorist_innen gesenkt werden muss, um das Ausmaß des Terrorismus zu
verringern.
Zu den
bedeutendsten bisherigen Maßnahmen gegen den IS zählen hauptsächlich die
Luftanschläge der USA und ihrer Verbündeten. Wie würden sich also die Kurven in
diesem Modell bei einer kriegerischen Intervention verschieben? Es ist davon
auszugehen, dass durch die Luftanschläge der USA die Grenzkosten der
IS-Kämpfer_innen erhöht wurden. Zum einen müssen sie ihr Waffenarsenal
aufstocken, um „ihre“ Ölanlagen zu verteidigen. Zum anderen haben sie Verluste
hinzunehmen, da die Gegenallianz wieder einige strategische Regionen
zurückgewinnen konnte. Dennoch hat es den IS nicht maßgeblich zurückgedrängt
und sie konnten ihr Gebiet weiterhin vergrößern. Mit der Eroberung der
historischen Stadt Palmyra am 20. Mai 2015 kontrollieren sie mittlerweile die
Hälfte des syrischen Staatsgebiets und ca. ein Drittel der irakischen Gebiete.
Ökonomisch sind die Luftschläge dennoch strategisch sinnvoll, da die
Grenzkosten der IS-Terrorist_innen gestiegen sind.
Abbildung 5: Erhöhung Grenzkosten
Betrachtet man
die Veränderung des Grenznutzens in Zusammenhang mit den Luftschlägen, ist es
möglich, zu unterschiedlichen Schlüssen zu kommen. Dazu müssen zunächst die
Ziele des IS genauer definiert werden. Primäres Ziel des IS ist es, einen
Islamischen Staat mit sunnitischer Vorherrschaft zu errichten. Dazu benötigt er
die Einnahmen durch die Ölquellen. Der Nutzen einer weiteren eroberten Quelle
sinkt allerdings, wenn der IS weiß, dass diese nach kürzester Zeit durch
Luftangriffe zerstört wird. Der Bürgerkrieg in Syrien und die damit verbunden
sehr schwachen Staatsstrukturen ermöglichen es dem IS sehr leicht neue
Ölquellen zu erobern. Eine Koalition zwischen den USA und Baschar al-Assad, um gegen
den IS zu kämpfen, würden den USA jegliche Glaubwürdigkeit entziehen und
scheint deshalb nicht realistisch.
Der von den
USA initiierte Irakkrieg 2003 hat die Strukturen im Irak stark geschwächt. Neben
der neorealistischen Erklärung zur Entstehung des IS durch ein Machtvakuum,
kann auch argumentiert werden, dass die Entstehungsgeschichte des IS auf die
amerikanische Intervention im Irak und der darauffolgenden Unterstützung der
schiitischen Regierung zurückgeht. Somit könnten weitere kriegerische Interventionen
beide Ländern noch mehr schwächen, was für den IS wiederum von Vorteil wäre.
Damit könnte die Steigerung des Grenznutzens der IS-Terrorist_innen größer sein
als die Erhöhung der Grenzkosten. Demnach hätte eine kriegerische Intervention
negative Auswirkungen auf die Bekämpfung des IS-Terrorismus.
Eine andere
Möglichkeit wäre zunächst im Irak mit anderen politischen Instrumenten
vorzugehen. Bisher wird der IS von Großteilen der sunnitischen Bevölkerung
unterstützt, da diese jahrelang von der schiitischen Regierung unterdrückt
wurden und unter prekären Lebensbedingungen leben mussten. Bei einer
gleichberechtigten Eingliederung der sunnitischen Bevölkerung in die
politischen Entscheidungsprozesse, um somit die Unterstützung für den IS zu
schwächen, könnte der Nutzen des IS verringert werden. Neben der Eingliederung
in die politischen Prozesse ist eine ganzheitliche Teilnahme am
gesellschaftlichen Leben wichtig, sowie die Sicherung fundamentaler Rechte und
Mindestlebensstandards. Gerade durch die Versorgung der Bevölkerung mit
Grundnahrungsmitteln konnte sich der IS besondere Sympathien unter der
sunnitischen Bevölkerung sichern (Arte 2015).
Derzeit verkauft der IS schätzungsweise 20.000 Barrel Öl pro Tag, da die Fördermenge seit den Luftanschlägen zurückgegangen ist. Davor förderte er ca. 80.000 Barrel pro Tag. Das Öl wird zu Tiefpreisen verkauft – an Kurd_innen, Schiit_innen, Christ_innen; in anderen Worten an alle Teile der Bevölkerung. Über verschiedene Mittler_innen gelangt das Öl nach Jordanien, in den Iran und in die Türkei. Bisher unternehmen die Regierungen wenig gegen diese Schattenwirtschaft (Arte 2015). Gelänge es ihnen, die Wege des IS-Öls genau zurück zu verfolgen und somit den Handel mit IS-Öl zu stoppen, würde das den Grenznutzen des IS weiterhin stark senken.
Abbildung 6: Senkung des Grenznutzens |
Nebenstehende Grafik verdeutlicht, wie sich eine Senkung des Grenznutzens auf
die Terroraktivitäten und somit auf die Anzahl der Ölquellen im Besitz des IS
auswirkt. Die Anzahl der Ölquellen wird sich somit verringern, wenn der
Grenznutzen des IS gesenkt werden kann.
Die
vorgestellte ökonomische Analyse zeigt somit auf, dass neben den Luftanschlägen
weitere Maßnahmen genutzt werden können, um gegen den IS vorzugehen und welche
Wirkung diese haben könnten. Neben den Luftschlägen müssen weitreichende
politische Maßnahmen die Eindämmung der IS-Aktivitäten begleiten. Die oben
aufgeführten Möglichkeiten bieten einen Ausblick, was möglich wäre, um im
Modell eine Senkung des Grenznutzens und eine Erhöhung der Grenzkosten zu
antizipieren. Ein Politik-Mix aus militärischen, ökonomischen und politischen
Mitteln ist somit unumgänglich.
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