Kaum ein Thema prägt die Medienwelt Europas in diesem Jahr
so sehr wie die Frage nach der Zukunft Griechenlands. In diesem Kontext wird
auch das Für- und Wider eines Ausscheidens Griechenlands aus dem Euro, der sog.
Grexit, immer wieder diskutiert. Da die griechische Regierung in den nächsten
Wochen und Monaten Schulden in Milliardenhöhe begleichen muss und Unsicherheit
darüber besteht, ob die gegenwärtige Situation dies überhaupt zulässt, ist davon
auszugehen, dass der Problematik des Grexit in den folgenden Wochen sogar eine
noch größere mediale Aufmerksamkeit zukommen wird.
Die Frage, ob der Grexit für Griechenland einen Ausweg oder
Irrweg darstellt verdient demnach eine vertiefte Beschäftigung, die in diesem
Beitrag unternommen werden soll.
Zuerst wird der Grexit in den größeren Kontext der
politikwissenschaftlichen Integrationstheorien zur europäischen Einigung
gestellt und theoretisch zu erklären versucht. Aufbauend auf der Feststellung,
dass ein Ausscheiden Griechenlandes aus dem Euro anhand einer post-funktionalistischen
Logik theoretisch erklärt werden kann, wird sodann seine rechtliche Zulässigkeit analysiert und
bewertet. Einen Blick auf die Konsequenzen eines Grexit auf Basis einer
Untersuchung der Bedeutung und Entwicklung der Wechselkurse rundet den
vorliegenden Beitrag ab.
Mo | Jan | Niko
I. Theorien zur Krise und Krise der Theorien
Die Aktualität der Eurokrise beschränkt sich nicht nur auf die Titelseiten der Zeitungen und die
Thematisierung an den Stammtischen. Die Frage, wie sich die Euro-Krise und ein möglicher Grexit
erklären lassen, führt in die politikwissenschaftliche Kontroverse darüber, welcher Logik
europäische Integration bisher folgt, und welcher sie in Zukunft folgen wird. Dieser Abschnitt legt
holzschnittartig die Debatte in den Europäischen Integrationstheorien im Bezug auf die Eurokrise
dar und zeigt, dass ein (hypotetischer) Grexit hier einen Wendepunkt darstellen würde. Die drei
theoretischen Referenzpunkte bilden dabei der liberale Intergouvernementalismus nach Moravcsik
(1999), der Neofunktionalismus (vgl Haas 1968, mit ähnlichen Annahmen auch der neuere
Supranationalismus nach Stone Sweet & Sandelholz 1997) und der Postfunktionalismus (Hooghe
und Marks 2008). (vgl ausführlicher zu Theorien und Empirie in der Krise: Schimmelfennig 2012,
Ioannou et alia 2015)
Der Euro als Integrationsprojekt ist ein Paradebeispiel dafür, dass Integrationstheorien
komplementäre Werkzeuge sind, um Erklärungen für Integration zu konstruieren, wobei an diese
Konstruktion je nach Stadium unterschiedliche Anforderungen an das Instrumentarium gestellt
werden (Jupille, et alia 2003, Diez und Werner 2009).
Der Euro bis zur Krise
Das erste Stadium der Eurokrise ist die Geburtsstunde des Euro als Integrationsprojekt. Aus
verschiedenen Erklärungsgerüsten scheint dafür der liberale Intergouvernementalismus (Moravcsik
1993, 1998) am robustesten. Da hier die Regierungen der Mitgliedsstaaten mit innerstaatlich
bedingten, ökonomischen Präferenzen die Hauptrolle spielen, kommt es immer dann zu Integration,
wenn durch Interdependenz, also wechselseitige Abhängigkeit (Keohane/Nye 1977: 8) bedingte
Effizientzpotentiale zur Wohlstandssteigerung zu einer gemeinsamen Präferenz für Integration
führt. Wenn diese primäre Präferenz für weitere Integration besteht, haben die Regierungen bei der
Ausgestaltung des Integrationsschritts die Regierungen meist unterschiedliche Sekundärpräferenz,
wobei die Verhandlungsmacht der Akteure das Design der Integration bestimmt. Bei der Gründung
des Euros gab es eine gemeinsame Primärpräferenz zwischen Deutschland und Frankreich für eine
Währungsunion, um Effizienzgewinne durch gesteigerten Handel und den Wegfall des Risikos von
Wechselkursrisiken und -krisen zu realisieren. Sekundär konnte sich Deutschland wegen seiner
Verhandlungsmacht gegen Frankreich mit dem Design und dem Sitz der EZB nach deutscher
Vorstellung durchsetzen, da es durch die wichtige Stellung der Bundesbank in der EMU mehr vom
Status Quo profitiert hatte und glaubwürdiger auf innerstaatliche Widerstände bei der Umsetzung
von Integrationsergebnissen verweisen konnte (Schimmelfennig 2013: 301ff).
Auch in der Eurokrise gelten einige Regeln des liberale Intergouvernementalismus noch
(Schimmelfennig 2015). Lange Verhandlungsnächten über Rettungen und Reformen rücken
Regierungen als zentrale Akteure in den Fokus, und die in der Krise unternommenen
Integrationsschritte folgten der gemeinsamen Primärpräferenz, den Euro nicht scheitern zu lassen,
obwohl sich die Sekundärpräferenz – wie soll die Rettung vonstatten gehen – entlang von Geberund
Nehmerländern höchst kontrovers unterscheiden. Daraus resultiert auf der
intergouvernementalen Ebene ein „Feiglingsspiel“ (ebd.: 178), in dem die Akteure wie Autofahrer
aufeinander zurasen und vortäuschen, einen Crash – einen Grexit – in Kauf zu nehmen, um ihre
Verhandlungsmacht zu erhöhen, im letzten Moment aber einlenken. Die Akteure, die näher am
Status Quo stehen – die solventen Nordstaaten – können doch meist ihre Integrationsvorstellung
durchsetzen.
Der liberale Intergouvernementalismus ist aber nicht geeignet, die Dynamik zwischen Gründung
und Rettung des Euros zu erklären (Schimmelfennig 2012: 403): Bei der Euro – Gründung wurde
eine gemeinsame Schuldenhaftung und Fiskalpolitik explizit ausgeschlossen, mit dem EFSF und
dem ESM aber danach aber genau so beschlossen. Hier kommt der Neofunktionalismus ins Spiel :
Das institutionelle Design der Integration stößt, einmal ins Leben gerufen, einen dynamischen
Prozess an: Durch supranationale Akteure verfolgen dabei eine eigene Agenda, und die Integration
in einem Politkfeld wirkt sich auf ein anderes Politikfeld aus (sog. Externalitäten), beispielsweise
erzeugt eine Integration des Gütermarktes externe Effekte im Bereich des Dienstleistungssektor.
So entstehen endogen neue, Präferenzen für weitere Integration, deren Kernmerkmal ihre
Pfadabhängigkeit ist – sie sind also bedingt durch früher getroffene Entscheidungen. Diese
eigendynamische Entwicklung von Integration, die immer neue Integration erzeugt, ist das
Fundament neofunktionalistischer Erklärungsansätze. Auch wenn am Anfang von Integration ein
intergouvernementaler Verhandlungsprozess steht (Pierson 1998: 29), berücksichtigen Regierungen,
bestehenden aus einer proeuropäisch sozialisierten politischen Elite, drei Dinge nicht in den
Verhandlungen:
1. Sind sie nur auf kurze Zeit gewählt, weshalb ihre Präferenzen langfristig
variieren.
2. Externalitäten induzieren durch weitere Integrationdurch a) selbstständig agierende,
neu geschaffenen Institutionen (institutioneller Spillover), b) die Verflechtung des integrierten
Politikfeldes mit anderen Politikfeldern (politischer Spillover) und c) die neu geschaffene
Entscheidungsebene, an die sich politische Forderungen richten können (politischer Spillover).
3.
Neue supranationale Akteure verfolgen eine eigene Agenda und interpretieren ihr Mandat weit.
Dies führt dazu, dass sich die Regierungspräferenzen pfadabhängig durch bisherige Integration
entlang von politischen, institutionellen und funktionalen Spillovern (Haas 1968: 283-317,
Schmitter 1969) ändern. Dass Integration dadurch hauptsächlich von der politischen Elite der
Mitgliedstaaten und supranationalen Technokraten betrieben wird, konnte sehr gut bei der
Schaffung des ESM beobachtet werden: Obwohl die Regierungspräferenzen ursprünglich gegen
eine gemeinsame Schuldenhaftung waren, änderten sich diese pfadabhängig ohne öffentliche
Beteiligung, gesteuert v.a. durch rational-ökonomische Überlegungen zu den wirschaftlichen
Konsequenzen eines Staatsbankrottes und eines Ausscheidens eines Landes aus der Eurozone (vgl.
dazu den wirtschaftlichen Teil dieses Beitrags). Ebenso war die Schaffung supranationaler
Haushaltsaufsicht durch die Kommission ein funktionaler Spillover, getrieben durch die negativen
Externalitäten unkontrollierter nationaler Haushaltsführung auf den Bereich der bereits integrierten
Währungspolitik. Schließlich bietet der Neofunktionalismus Raum, um die unabhängige Rolle der
supranationalen EZB sowie den Einfluss treibender transnationaler Akteure, wie z.B die Banken
und Anleger an den Finanzmärkten zu erklären. Die EZB als supranationaler Akteur hat in der Krise
auf den Druck der Märkte hin ihr Mandat deutlich weiter interpretiert, als bei ihrer Schaffung und
den Verhandlungen zu ihrer Gründung geplant war. Dass transnationale Akteure ihre Erwartungen
direkt an die Supranationale Eben richten, ist dabei der klassische politische Spillover, und die
eigene Handlungsagenda der EZB eine Form des institutionellen Spillovers.
Die dynamische Logik des Neofunktionalismus überwölbt in der Eurokrise intergouvernementale
Verhandlungsprozesse und war bis 2015 ein erstaunlich stabiles Erklärungskonstrukt für die
Eurokrise (Schimmelfennig 2014).
Wendepunkt Grexit? Politisierung nach der Griechenlandwahl
Gemeinsamer Ausgangspunkt und Schwachpunkt von Intergouvernementalismus und
Neofunktionalismus ist die Annahme, dass europäische Integration von ökonomisch-rationalen
handelnden Eliten und Interessengruppen betrieben wird (Hooghe und Marks 2008: 3ff). Außerdem
sind sie darauf ausgelegt, Integrationsfortschritte zu erklären, ein Grexit wäre aber eine
Integrationsrückschritt. Die neofunktionalistische Integrationsspirale aus pfadabhängigen Interessen
und spillover dreht sich aber nur aufwärts – ein „Spillback“ ist nicht vorgesehen. Im liberalen
Intergouvernementalismus ist wäre ein Rückschritt zwar als Verhandlungsergebnis denkbar, aber
kein Erklärungsmuster für einen Grexit, da bisher keine innerstaatlichen ökonomischen Präferenzen
oder makroökonomische Regierungspräferenzen für einen Ausscheiden Griechenlandes aus der
Eurozone gibt, im Gegenteil sogar dagegen sprechen (Schimmelfennig 2012: 402ff).
Als alternative zu diesen rationalistischen Ansätzen bietet sich daher der Postfunktionalismus an. Im
Zentrum der Theorie steht die Politisierung der europäischen Integration, sodass aus dem
„permissive consent“ der Bevölkerung für weitere Integration ein „constraining dissent“ gegen
weitere Integrationsvorhaben (Hooghe and Marks 2008) wird, was weitere Integration behindert
oder bisherige umkehrbar macht. Nach De Wilde (2011: 567ff) besteht diese Politisierung aus drei
Schritten:
1. Zu einem Thema bestehen kontroverse Meinungen,
2.diese werden kontrovers
debattiert und
3. an diesem Prozess ist die breite Bevölkerung beteiligt.
Der letzte Schritt verlangt, dass die Arena (Hooghe/Marks 2008: 8) in der Integrationsthemen
diskutiert und entschieden werden, die breite Öffentlichkeit mit einbezieht. Als Ergebnis der
Politisierung werden Entscheidungen über europäische Integration nicht mehr in der
proeuropäischen „Interessengruppen-Arena“ getroffen, sondern von der typischerweise
europaskeptischen „Masse“. Während den Diskurs zwischen Eliten und Interessengruppen eine
rationale Verteilungslogik lenkt, konkurrieren in einer öffentlichen, politisierten und polemisierten
Debatte Überzeugungen, Identitätsfragen und konstruktivistische Argumente mit rationalistischen
Argumente. Die „Arena“ bestimmt also die Handlungslogik der Entscheidungsfindung über
europäische Themen.
In der Krise hat der Euro alle drei Schritte der Politisierung durchlaufen:
1. Zur Euro-Rettung gibt
es zwei gegenläufige, kontroverse Positionen, wie die Rettung ablaufen soll. 2. Zwischen diesen
Positionen findet national und transnational eine intensive Debatte in Zeitungen und Parteien statt.
3. Die Debatte findet starke Resonanz in der Bevölkerung und verschärft sich – eine neue
Entwicklung.
Die Implikationen für Griechenland lassen sich in einem angepassten Schaubild von Hooge und
Marks verdeutlichen, das den Zusammenhang zwischen der Politisierung und dem Erdrutschsieg
der Syriza – Partei über die bisherigen etablierten politischen Parteien herstellt.
a) Die Euro-Rettung betrifft, anders als bisherige Integrationsthemen, den Alltag der einzelnen
Bürger direkt und führt zur Politisierung.
b)Die Politisierung ist so stark, dass die Pole der Debatte
(beispielsweise Pro vs Contra Reformen und Sparpolitik) wahlentscheidend sind, So werden sie zu
den Pole des Parteiensystem, da Parteistrategen Vorteile darin sehen, Wählerpotential in der
c)
Massenarena zu gewinnen, wofür sie d) andere Argumente als nur ökonomisch-rationale anführen.
In Griechenland hat sich diese Prognose seit der Wahl Anfang 2015 bewahrheitet: Zum ersten mal
kam es seit Ausbruch der Krise in einem Euroland zu einem Regierungswechsel von den alten
etablierten Parteien hin zu Protestparteien. Diese neue Regierung ist nicht wie die bisherigen
Regierungen im europäischen Elitensystem sozialisiert worden, hat sich in der „Massenarena“
durchgesetzt und argumentiert auch jetzt auf europäischer Ebene mit Argumenten, die die Würde
des Griechischen Volkes, die Fremdherrschaft durch die Troika oder deutsche Schuld betreffen. Die
rationalistisch-ökonomische Handlungslogik wurde durch die Politisierung durch eine
Identitätslogik erweitert oder sogar ersetzt.
Die Politisierung in Griechenland und die Wahl 2015 hat also zwei Fakten geschaffen:
1. Abbildung: nach Hooghe und Marks 2008 Fig.2.
b)
d)
c)
1) eine neue, (noch) nicht europäisch sozialisierte politische Elite,
2) eine neuen, identitätsbezogene Handlungslogik
Daraus lassen sich zwei theoretische Wege Pfade für einen Grexit bauen:
„Graccident“: In Verhandlungen, die bisher immer der Logik eines „Chicken Games“ folgten,
gelingt es nicht, die neue Regierung mit den alten mitgliedstaatlichen Eliten und supranationalen
Technokraten zu sozialisieren. Eine negative Sozialisation tritt ein, und das „Chicken Game“
funktioniert nicht mehr, da sich die Akteure nicht mehr darauf verlassen können, dass sich der
andere rational, also nach gleichen Erwägungen der identischen Primärpräferenz verhält. Dann
kommt es entweder zum Unfall zwischen den beiden Fahrern – dem „Graccident“ - oder zur
Aufgabe der gleichen Primärpräferenz durch die Radikalisierung der gegenläufigen
Sekundärpräferenz.
„proud but poor by choice“: Griechenland könnte sich in einer Volksabstimmung gegen einen
Euroverbleib bei feststehenden Konditionen aussprechen. Dass Volksabstimmungen ein
Integrationshemmnis sind, konnte bereits bei den Verfassungsreferenden in Frankreich und den
Niederlanden (beide 2005) sowie bei dem ersten Referendum zum Vertrag von Lissabon (2008)
beobachtet werden. Jetzt, 2015, könnte in einem Referendum, das entweder die Fortsetzung der
Sparpolitik oder einen Euroaustritt vorsieht, die Logik der Politisierung voll zum tragen kommen.
So wäre es denkbar, dass sich eine Mehrheit der Griechen gegen die „Troika-Fremdherrschaft“
mobilisieren lässt und die Idee der Souveränität wichtiger ist als weitere Einkommenseinbußen.
Aktuelle Umfragen (Ekathimerini 2015) weisen aber darauf hin, dass selbst bei in einem
Referendum Griechenland im Euro bliebe. Würde in Referenden allerdings der Wunsch geäußert,
im Euro zu bleiben, gleichzeitig aber die politischen Bedingungen hierzu abgelehnt, hätte die
Politisierung der Euro-Krise ein zweideutiges Ergebnis hervorgerufen, und die Lösung dieses in
sich konfligierenden Volkswillen wäre vermutlich wieder den Verhandlungen überlassen.
Welchen Weg Griechenland geht, lässt sich nicht vorhersehen, ist aber für den Diskurs über die
Integrationstheorien von großer Bedeutung: Bleibt Griechenland im Euro, hat sich die
neofunktionalistische Logik von Spillovern und pfadabhängiger, dynamischer Integration, betrieben
durch proeuropäische Eliten und Technokraten bewährt. Scheidet Griechenland aus dem Euro aus,
erweist sich die Politisierung als „game changer“ der Integration, und künftige Forscher und
Politiker müssten sich mehr mit identitätsbezogenen Argumenten auseinandersetzen.
II. Die rechtliche Zulässigkeit eines griechischen Ausscheidens aus dem Euro-Raum
Die Frage nach der Zulässigkeit eines Ausscheidens
Griechenlands aus der Währungsunion ist eine rechtliche Frage. Die Bedeutung
ihrer Beantwortung liegt auf der Hand, geht es doch um die Zukunft der Eurozone
und damit in nicht unerheblichem Maße auch die Zukunft der Europäischen Union.
In erster Linie kann die Frage der rechtlichen Zulässigkeit auf
Basis des geltenden Unionsrechtes beantwortet werden, wenngleich der Rückgriff
auf die allgemeinen Regeln des Völkervertragsrechtes an einigen Stellen
sinnvoll erscheint. Die vorliegende Ausarbeitung versucht nach einer kurzen
Einordnung der Frage eines Ausscheidens aus dem Euro-Raum in den Kontext der
Vertragsbestimmungen des Vertrages über die Europäische Union (EUV) und des
Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (I.) und einiger
terminologischer Präzisierungen (II.), die verschiedenen Arten eines Ausscheidens
aus dem Euro-Raum rechtlich zu bewerten, indem untersucht wird, ob und wenn ja
wie, sich diese Arten eines Ausscheidens rechtlich konstruieren lassen (III.).
Ein skizzenhafter Ausblick auf mögliche (rechtliche) Konsequenzen einer
Durchführung der jeweiligen Arten des Ausscheidens rundet die Ausarbeitung ab
(IV.).
I. Die rechtlichen Grundlagen der Euro-Einführung und das Dilemma ihrer „Unumkehrbarkeit“
a) Die Entstehung der Währungsunion
Die europäischen Währungsunion wurde schrittweise
eingeführt: Basierend auf dem Delors-Bericht des Jahres 1989, der auf dem
Treffen des Europäischen Rates in Madrid beschlossen wurde, trat am 01. Juli
1990 die erste Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) in Kraft. Der
Vertrag von Maastricht sah dann zwei weitere Stufen der Verwirklichung der
Währungsunion vor: in einem ersten Schritt wurde zum 01. Januar 1994 die
Geldpolitik der Mitgliedsstaaten enger koordiniert und eine europäische
Zentralbank (EZB) eingerichtet, bevor die 11 Mitgliedsstaaten, die die
Voraussetzungen für die Einführung einer gemeinsamen Währung erfüllt hatten, zum
01. Januar 1999 in die dritte und finale Stufe der WWU eintraten. Die Erfüllung
der Voraussetzungen des heutigen Art. 140 Abs. I AEUV i.V.m. dem Protokoll über
die Konvergenzkriterien (dem Protokoll Nr. 14 zum AEUV) wurde dabei vom Rat in
der Verordnung (EG) 974/98 festgestellt, konkret handelt es sich um (1)
anhaltende Preisstabilität, (2) kein übermäßiges Haushaltsdefizit, (3)
Währungsstabilität bei der Teilnahme am vorher geltenden Europäischen
Währungssystem EWS und (4) Konvergenz der Zinssätze. Auf diesem zentralen
Sekundärrechtsakt aufbauend legten weitere Sekundärrechtsakte die Details der
Einführung des Euro in den teilnehmenden Mitgliedsstaaten fest, so z.B. die VO
(EG) 2866/98 die Umrechnungskurse zwischen der neuen Gemeinschaftswährung und
den zu beendenden nationalen Währungen.
Alle Mitgliedsstaaten, die den Euro nicht einführten, wurden
zu „Mitgliedsstaaten mit Ausnahmeregelung“ i.S.v. Art. 139 AEUV.
Fastenrath / Groh, Rn. 289 – 294.; Haratsch /Koenig /Pechstein, Rn. 1265-1267.
b) Die
Euro-Einführung in Griechenland
Die Entscheidung 98/317 EG stufte Griechenland als
Mitgliedsstaat mit Ausnahmeregelung i.S.v. Art. 139 AEUV ein. Da Griechenland
die Konvergenzkriterien nicht erfüllte gehörte es nicht zu den 11
Mitgliedsstaaten, die schon 1999 in die 3. Stufe der WWU eintreten und den Euro
einführen durften.
Erst mit der Entscheidung 2000/427 EG wurde die Erfüllung
der Konvergenzkriterien durch Griechenland festgestellt und in der Folge die
Euro-Einführung Griechenlands beschlossen. Umgesetzt wurde diese in Form der VO
(EG) 2596/2000, die die Euro-Einführungs-Verordnung VO (EG) 974/98 änderte. In
der weiteren Folge war auch eine Änderung weiterer Sekundärrechtsakte
notwendig, so zum Beispiel der VO (EG) 2866/98 über die Umrechnungskurse
(geändert durch VO (EG) 1478/2000).
c)
Die
heute geltenden Vertragsbestimmungen zur Währungsunion
Gemäß Art. 3 I lit. c AEUV ist die Union ausschließlich
zuständig für die Währungspolitik derjenigen Mitgliedsstaaten, die den Euro
eingeführt haben. Näheres zur konkreten Ausgestaltung der Währungsunion findet
sich in den Kapiteln 2-5 des dritten Teils des Titels VIII AEUV, die unter
anderem die Struktur, Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Zentralbank
(EZB) und besondere Bestimmungen für die Euro-Mitgliedsstaaten enthalten. Als
vorrangiges Ziel der Währungspolitik bestimmt Art. 127 I AEUV die
Gewährleistung der Preisstabilität.
Ein Mitgliedsstaat, der den Euro einführen möchte, muss die
Konvergenzkriterien des Art. 140 I erfüllen. Die Erfüllung wird vom Rat auf
Basis von Berichten der Kommission und der Europäischen Zentralbank nach
Anhörung des Europäischen Parlamentes beschlossen (Art. 140 I f. AEUV); im
Verfahren des Art. 140 III AEUV werden die weiteren erforderlichen Maßnahmen
zur Einführung des Euro ergriffen.
Haratsch/Koenig/Pechstein, Rn.1268-1270.
d)
Das
Dilemma der „Unumkehrbarkeit“ der Euro-Einführung
Das 10. Protokoll über den Übergang zur dritten Stufe der
Wirtschafts- und Währungsunion zum Vertrag über die Europäische Union i.d.F.
von Maastricht spricht von der „Unumkehrbarkeit“ der Euro-Einführung. Obwohl in
diesen Tagen viel über ein Ausscheiden aus dem Euro-Raum diskutiert wird,
sprechen zumindest drei Aspekte für die fortwährende Bedeutsamkeit dieser
Wortwahl:
Erstens sieht die Regelungstechnik der Verträge in der Tat
einzig vor, dass alle Mitgliedsstaaten im Laufe der Zeit den Euro einführen
(wobei nach den Protokollen 15 und 16 zum Vertrag über die Europäische Union i.d.F.
von Lissabon Ausnahmeregelungen für das Vereinigte Königreich und Dänemark
gelten). Zweitens erteilen die Verträge auch den Organen der Union einzig und
allein Befugnisse zur Einführung des
Euro, Rechtssetzungskompetenzen für die Beendigung der Euro-Mitgliedschaft
eines Mitgliedstaates der EU finden sich nicht. Drittens liegt nach
überwiegender Auffassung in der Literatur in der Einbahnstraßenregelung der
Verträge auch keine Regelungslücke vor: das Fehlen eines vertraglichen Ausscheiderechtes
aus dem Euro spiegelt demnach den Willen der Gründungsväter wider (hierzu u.a.
Seidel 2010: 26), eine „dauerhafte Rechtsgemeinschaft“ (Herdegen 1998: 1) der
Mitgliedsstaaten mit Euro zu gründen.
e)
Folgen
der vertraglichen Regelung
Kann aus dem Fehlen eines ausdrücklichen, vertraglich
verankerten Rechtes der Euro-Mitgliedsstaaten, aus dem Euro-Raum auszuscheiden,
der sog. „Irreversibilitäts-Prämisse“ (Meyer 2013: 334) der Verträge, automatisch
geschlossen werden, dass ein solches Ausscheiden in jedem Fall rechtlich
unzulässig ist?
Die Antwort lautet: Nein.
An verschiedenen Stellen des Vertrages finden sich
Anknüpfungspunkte für die rechtliche Konstruktion eines Ausscheidens eines
Mitgliedsstaates aus dem Euro-Raum. Zudem sind, zumindest unter besonderen
Umständen (siehe unter III. 3), auch einige Regeln des allgemeinen
Völkervertragsrechtes anwendbar, die ggf. eine Loslösung von den
Vertragsbestimmungen ermöglichen. Bevor dies geprüft wird, ist die
Fragestellung noch näher zu präzisieren.
Haratsch/Koenig/Pechstein, Rn. 1291.; Meyer, 334 ff.
II. Terminologische Präzisierungen
Diese Ausarbeitung untersucht die rechtliche Zulässigkeit
eines Ausscheidens aus dem Euro-Raum. Gemeint
ist damit eine Beendigung der Mitgliedschaft im Euro. Dies ist auf dreierlei
Arten vorstellbar:
In Betracht kommt zuerst ein einvernehmlicher Austritt
Griechenlands, d.h. ein Austritt unter Zustimmung bzw. zumindest Tolerierung
aller anderen Mitgliedsstaaten.
Davon zu unterscheiden ist ein einseitiger Austritt Griechenlands
ohne Zustimmung der anderen (Euro-)Mitgliedsstaaten, der, wie unten näher
ausgeführt wird (III.2) einen Vertragsbruch darstellt. Schließlich ist noch an
einen Ausschluss Griechenlandes aus dem Euro-Raum durch die anderen
Mitgliedsstaaten zu denken.
Der folgende Teil analysiert und bewertet diese drei
Konstruktionsmöglichkeiten jeweils getrennt und leitet aus diesen Bewertungen
eine allgemeine Beurteilung der Zulässigkeit des Ausscheidens Griechenlands aus
dem Euro ab.
Zu trennen ist die hier untersuchte Beendigung der
Euro-Mitgliedschaft von einem Ausscheiden aus der Währungsunion (siehe u.a.
Behrens 2010: 121):
Im Ergebnis führt ein Ausscheiden aus dem Euro-Raum zu einer
Rückstufung des betreffenden Landes zum „Mitgliedstaat mit Ausnahmeregelung“
i.S.v. Art. 139 AEUV, während ein Ausscheiden aus der Währungsunion die
Anwendung sämtlicher Bestimmungen der Verträge über die Währungsunion
ausschließen würde.
Auch diejenigen Mitgliedsstaaten der EU, die den Euro nicht
eingeführt haben, sind nämlich als Mitgliedsstaaten der EU Mitglieder der
Währungsunion, wenngleich ihre (Mitsprache-) Rechte und Pflichten des Art. 139
und der Art. 142 – 144 AEUV im Vergleich zu denen der Euro-Mitgliedsstaaten
deutlich eingeschränkt sind.
III. Die rechtliche Konstruktion eines Ausscheidens aus dem Euro
Dieser Teil beinhaltet die oben skizzierte Prüfung der
rechtlichen Konstruktion eines Ausscheidens Griechenlands aus dem Euro-Raum.
Dafür werden verschiedene Optionen analysiert und rechtlich bewertet. Zu beachten
ist, dass die hier näher untersuchten Optionen nicht die einzigen diskutierten
Optionen darstellen und die hier vorgenommene Betrachtung keinen Anspruch auf
Vollständigkeit erhebt. Zudem ist es aus Platzgründen nicht möglich, jede
Option im Rahmen einer juristischen Fallprüfung zu analysieren; es wird
stattdessen versucht, auf die strittigen Punkte ausführlicher einzugehen.
1.
Einvernehmlicher
Austritt
a)
Option
1: Änderung der Euro-Einführungs-VO (VO (EG) 974/98)
Grundsätzlich können Sekundärrechtsakte geändert werden; dies
gilt auch für die konsolidierte Fassung der Euro-Einführungs-VO, die den
Euro-Beitritt Griechenlands vorsieht. Als Rechtsgrundlage der Änderung könnte
Art. 140 III AEUV dienen; Voraussetzung wäre jedoch nach Art. 140 III AEUV
Einstimmigkeit im Rat, was diese Option nur im Rahmen eines einvernehmlichen
Austritts umsetzbar macht (aus diesem Grund kommt diese Lösung also nicht in
Betracht, um Griechenland aus dem Euro-Raum auszuschließen).
Problematisch erscheint allerdings die Primärrechtskonformität
der zu erlassenden Verordnung, über die im Zweifel der Europäische Gerichtshof
(EuGH) entscheiden müsste. Ein solches Verfahren könnte die Wirkung der
Änderung der VO zudem nur nachträglich verhindern und somit einen Austritt
Griechenlandes rückwirkend aufheben (zugegebenermaßen eine reichlich paradoxe
Situation), der sofortigen Wirkung der VO stünde es nicht entgegen. Gerade in
Anbetracht der betont integrationsfreundlichen Rechtsprechung der letzten Jahre
wäre eine Feststellung der Primärrechtskonformität außerdem alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
In Ergänzung zur Änderung der Euro-Einführungs-VO ist folglich
also eine Vertragsänderung notwendig. Diese ist nach dem Verfahren des Art. 48
EUV durchzuführen, im Falle einer Änderung der Art. 139 f. AEUV auf dem Wege
des vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens nach Art. 48 VI EUV. Das vereinfachte Vertragsänderungsverfahren
setzt einen einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates nach Anhörung von
Kommission, Europäischem Parlament (EP) und EZB voraus, der jedoch erst nach
Zustimmung aller Mitgliedsstaaten, d.h. nicht nur der Euro-Mitgliedstaaten,
nach ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Bestimmungen in Kraft tritt. Auch
dieses Verfahren benötigt viel Zeit; zudem ist ein positiver Ausgang aufgrund
der z.T. komplexen innerstaatlichen Zustimmungsverfahren auch hier keine Selbstverständlichkeit.
Schließlich stellt sich die (zugegebenermaßen nicht
rechtliche) Frage nach den Auswirkungen einer Vertragsänderung, die ein
Austrittsrecht vorsähe, für die Stabilität der Eurozone, sodass an der
grundsätzlichen Eignung dieser Änderung berechtigte Zweifel bestehen.
Bonke, 520 f.; Meyer, 338.; Pechstein, in: Streinz, Art. 48 EUV, Rn. 18-21.
b)
Exkurs:
Vertragsänderung und Ausscheiden aus dem Euro
In den Medien wird immer wieder die Auffassung vertreten,
ein Ausscheiden aus dem Euro-Raum sei dadurch zu bewerkstelligen, dass eine
formelle Vertragsänderung durchgeführt
wird (dies bemängelt auch Herrmann 2015). Die unter a) dargelegte Argumentation
sollte jedoch gezeigt haben, dass eine „reine“ Vertragsänderung nicht in jedem
Fall ausreicht, ein Ausscheiden aus dem Euro-Raum rechtlich zu legitimieren:
Sofern bestehendes Sekundärrecht nicht geändert wird und auch nach einer Vertragsänderung
primärrechtskonform wäre (was anzunehmen ist), bliebe der Euro in Griechenland bestehen;
ein Ausscheiden Griechenlands wäre in diesem Sinne nur auf Basis eines
Sekundärrechtsaktes, der wiederum auf Grundlage der geänderten
Vertragsbestimmungen der Art. 139 f. AEUV erlassen würde, möglich. Anders sähe
die Situation nur dann aus, wenn der geänderte Vertragstext einen (einseitigen)
Austritt ohne Sekundärrechtsakt vorsähe (was unwahrscheinlich ist) oder der
geänderte Vertragstext selbst ein Ausscheiden Griechenlands vorsähe (auch das
ist unwahrscheinlich; in diesem Fall würde die Vertragsänderung gleichzeitig
die entsprechenden Teile der VO aufheben).
c)
Option
2: Flexibilitätsklausel des Art. 352 AEUV
Zentrale Idee des Art. 352 AEUV ist es, Ziele der Union auch
dann verwirklichen zu können, wenn die Verträge keine explizite Befugnis dafür
vorsehen. Unterstrichen wurde diese Sichtweise auch vom EuGH im Gutachten 2/94
(zum EMRK-Beitritt): Art. 352 AEUV solle „einen Ausgleich in Fällen schaffen,
in denen den Gemeinschaftsorganen durch spezifische Bestimmungen des Vertrages
ausdrücklich oder implizit verliehene Befugnisse fehlen und gleichwohl
Befugnisse erforderlich erscheinen, damit die Gemeinschaft ihre Aufgaben im
Hinblick auf die Erreichung eines der vom Vertrag festgelegten Ziele wahrnehmen
kann.“ Theoretisch wäre auf Basis der Flexibilitätsklausel also der Erlass
„geeigneter Vorschriften“ möglich, die es Griechenland ermöglichen würden, eine
eigene Währung einzuführen, sofern dies notwendig ist, um ein Vertragsziel zu
verwirklichen. In Betracht kommt hier v.a. das in Art. 127 I AEUV normierte
Ziel der Preisstabilität. Es liegt außerhalb der Reichweite dieser Ausarbeitung
zu bestimmen, ob die Einführung einer eigenen Währung in Griechenland notwendig
ist, um die Preisstabilität der Eurozone zu garantieren, doch auch ohne eine
solche Betrachtung zeigen sich mehrere Probleme, die eine Anwendung des Art.
352 AEUV erschweren: Zum einen sind die Zustimmungshürden der
Flexibilitätsklausel sehr hoch; so ist nicht nur Einstimmigkeit im Rat und die Zustimmung
des EP erforderlich, sondern nach § 8 IntVG auch die (vorherige!) Zustimmung
des Deutschen Bundestages. Zu diesen eher praktischen Problemen tritt der
„Wesentlichkeitsvorbehalt“ (Winkler,
in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 352 AEUV, Rn. 63) des Art. 352 AEUV erschwerend
hinzu: Wesentliche Änderungen des Vertragsgefüges auf Basis von Art. 352 AEUV
sind untersagt; um genau eine solche Änderung handelt es sich aber, wenn
Griechenland trotz der Einbahnstraßenregelung der Verträge die Einführung einer
nationalen Währung erlaubt würde.
Auch diese Option der Konstruktion eines einvernehmlichen
Austrittes erfordert in Ergänzung also eine formelle Vertragsänderung – mit
allen oben skizzierten Konsequenzen.
Herrmann 2010, 416 f.
d)
Option
3: Kompetenzielle Rückermächtigung nach Art. 2 I AEUV
Art. 2 I AEUV sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten in
Bereichen ausschließlicher Zuständigkeiten der EU, wie z.B. der Wirtschafts-
und Währungsunion (siehe Art. 3 I lit. c AEUV) nur dann tätig werden dürfen,
wenn sie vorher von der Union dazu ermächtigt worden sind. Eine solche
kompetenzielle Rückermächtigung würde es Griechenland ermöglichen, eine eigene
Währung einzuführen. Die Anforderungen an die besagte Rückermächtigung sind
dabei völlig unklar, da diese weder im Vertrag selbst noch in
Sekundärrechtsakten enthalten sind. Auch aus der Rechtsprechung des EuGH lassen
sich keine Rückschlüsse bezüglich eventueller Anforderungen ziehen. Nach
überwiegender Auffassung in der Literatur ist aber zumindest ein
Sekundärrechtsakt mit qualifizierter Mehrheit erforderlich; die Rückermächtigung
kann zudem nach herrschender Meinung nur vorübergehend erfolgen und keinen
dauerhaften rechtlichen Bestand haben (stellvertretend für viele: Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim,
Art. 2 AEUV, Rn. 19; die Gegenmeinung vertritt Callies, in Callies/Ruffert, Art. 2 AEUV, Rn. 12 ff.). Diese Anforderungen
erschweren die Anwendung auf den Fall Griechenland erheblich, da ein temporäres
Ausscheiden aus dem Euro-Raum nicht praktikabel erscheint. Hingegen zeigen sich
keine weiteren rechtsdogmatischen Probleme:
Die Rückermächtigung, sofern sie in Form eines
Sekundärrechtsaktes erfolgt, verdrängt aufgrund des Grundsatzes lex posterior
derogat legi priori schon bestehendes Sekundärrecht, dass die Euro-Einführung
in Griechenland vorsieht.
Herrmann 2010 416
f.; Meyer, 337 f.
e)
Fazit
Ein einvernehmlicher Austritt aus dem Euro-Raum ist möglich,
erforderlich ist aber eine formelle Vertragsänderung, unabhängig von der Wahl
der konkreten Austrittsoption. In Anbetracht der rechtlichen Unklarheiten bzgl.
der kompetenziellen Rückermächtigung und den formellen Voraussetzungen der
Anwendbarkeit der Flexibilitätsklausel erscheint der Rückgriff auf Option 1
sinnvoll. In jedem Fall sollten die rechtlichen Konsequenzen (s.u.) aber
berücksichtigt werden.
2.
Einseitiger
Austritt
a)
Option
1: Austrittsrecht aus der EU nach Art. 50 EUV
Art. 50 EUV sieht ein einseitiges Austrittsrecht aus der EU
vor, d.h. ein Austrittsrecht auch ohne vorherige Zustimmung der anderen
Mitgliedsstaaten. Wenn schon der Austritt aus der gesamten Union möglich ist,
dann ist erst Recht der Austritt aus Teilen der Union, wie zum Beispiel dem
Euro-Raum, möglich, so die Argumentation der Befürworter eines einseitigen
Austrittsrechtes aus dem Euro-Raum (referiert bei Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 1291). Die Nutzung des
argumentum a maiore ad minus ist dabei generell genauso wenig problematisch wie
die Sichtweise des Art. 50 EUV als einseitiges Austrittsrecht aus der Union. Problematisch
erscheint hingegen eine teleologische Interpretation des Art. 50 EUV: Ohne an
dieser Stelle näher auf die Ursprünge dieses Artikels eingehen zu können, ist
sein Sinn und Zweck die rechtliche Ermöglichung eines vollumfänglichen
Austrittsrechtes, eines Rechtes, das vor Inkrafttreten des Vertrages von
Lissabon noch hochgradig umstritten war. Auf die Etablierung einer Union „à la
carte“, in der jeder Mitgliedsstaat nur diejenigen Teile des acquis communautaire übernimmt, die der
jeweils aktuellen Regierung passend erscheinen, zielt Art. 50 EUV jedoch nicht
ab.
Folglich enthält Art. 50 EUV kein einseitiges Austrittsrecht
aus dem Euro-Raum.
Athanassiou, 27-30.; Bonke, 517.; Seidel 2007,
617.; Zeh, 173 ff.
b)
Option
2: nachträgliche Unmöglichkeit der Erfüllung nach Art. 61 WVK
(zur Frage der generellen Anwendbarkeit der Wiener
Vertragsrechtskonvention (WVK) siehe unter III. 3 lit. e)
Verschwindet ein zur Vertragserfüllung unerlässlicher
Gegenstand bzw. wird ein solcher Gegenstand vernichtet ist der Rücktritt vom
Vertrag oder die Beendigung des Vertrages möglich. Nach überwiegender
Auffassung in der Literatur ist die Bestimmung ganz nach ihrem Wortlaut eng
auszulegen, sodass nur physische Gegenstände geltend gemacht werden können (siehe
u.a. Bodeau-Livine/Morgan-Foster, in: Corten/Klein, Art. 61 WVK, Rn. 11-23). Gemäß
Art. 44 III lit. a WVK ist der Rücktritt auch für einzelne Vertragsbestimmungen
möglich, sofern diese Bestimmungen getrennt von den anderen
Vertragsbestimmungen angewendet werden können. Da die Vorschriften über die
Euro-Mitgliedschaft von den übrigen Vertragsbestimmungen getrennt werden
können, ist nun zu klären, welcher Gegenstand im Falle Griechenlandes
verschwunden bzw. vernichtet worden sein könnte. Im Falle Griechenlandes wird als
solcher Gegenstand hauptsächlich der Zustand der Staatsfinanzen (eine
ausreichende Menge an Staatseinnahmen) genannt. Das Verschwinden ausreichender
Staatseinnahmen macht es Griechenland unmöglich, seine Vertragsverpflichtungen,
insb. das Verbot eines übermäßigen Defizites des Art. 126 AEUV, einzuhalten.
Aus diesem Grund kommt Griechenland grds. ein Kündigungs- bzw. Beendigungsrecht
zu. Problematisch ist aber, dass wohl nicht allen Ernstes behauptet werden
kann, die Unmöglichkeit der Erfüllung sei erst nachträglich aufgetreten und zum
Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht bekannt gewesen. Zudem hat Griechenland
zum Verschwinden der ausreichenden Menge an Staatseinnahmen selbst beigetragen,
u.a. durch eine verfehlte Wirtschafts- und Fiskalpolitik; Art. 61 WVK enthält
jedoch nur dann ein Kündigungs- bzw. Beendigungsrecht, wenn das Verschwinden
nicht selbst herbeigeführt wurde. Auch dieser Artikel enthält im konkreten Fall
also kein einseitiges Austrittsrecht aus dem Euro-Raum, sodass die Rechtsfolgen
einer Kündigung für die bestehenden Sekundärrechtsakte, auf denen, wie
dargelegt, die Euro-Einführung beruht, nicht näher geprüft werden müssen.
c)
Option
3: Clausula Rebus Sic Stantibus des Art. 62 WVK
Als dritte Option zur Begründung eines einseitigen
Austrittsrechtes wird die grundlegende Änderung wesentlicher Umstände, die sog.
clausula rebus sic stantibus diskutiert. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage
liegt demnach vor, wenn die grundlegend geänderten Umstände eine wesentliche
Grundlage für die Zustimmung zum Vertrag darstellten, die Änderung von beiden
Parteien nicht vorhergesehen wurde und zudem eine tiefgreifende Umgestaltung
der noch zu erfüllenden Vertragspflichten zur Folge hat (Art. 62 I WVK).
Problematisch erscheint hier zumindest dreierlei: Zwar kommt die mangelnde Leistungsfähigkeit
der griechischen Wirtschaft und des griechischen Staates als Umstand durchaus
in Betracht, fraglich erscheint jedoch schon die grundlegende Änderung bzw. die
Tatsache, dass die ausreichende Leistungsfähigkeit überhaupt jemals bestanden
hat. Doch selbst wenn eine solche angenommen wird wurde diese Änderung
zumindest von der griechischen Seite möglicherweise vorhergesehen, was näher zu
prüfen wäre. Zudem ergibt sich auch bei der Anwendung dieses Artikels das Problem,
dass Griechenland die Änderung der Umstände herbeigeführt hat (dies schließt
die Anwendung des Artikels nach Art. 62 II lit. b aus), sodass im Ergebnis
unter Berücksichtigung der restriktiven Anwendung dieses Artikels auch aus
diesem kein einseitiges Austrittsrecht aus dem Euro-Raum für Griechenland
hergeleitet werden kann.
Bonke, 519 f.; Herdegen, 4 f., 9.; Shaw/Fournet, in: Corten/Klein, Art. 62 WVK, Rn. 24-31.
d)
Fazit
Nach geltendem Völker- und Europarecht lässt sich kein
einseitiges Austrittsrecht aus dem Euro-Raum rechtlich konstruieren. Ein
solcher einseitiger Austritt stellt folglich einen Verstoß sowohl gegen die
Verträge als auch gegen die WVK dar.
Es mag in Frage zu stellen sein, inwiefern sich alle
Vertragsparteien an das Recht halten werden – rechtlich legitimieren lässt sich
ein einseitiger Austritt nicht.
3.
Ausschluss
a)
Option
1: Allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gesellschaftsrechtes
Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gesellschaftsrechtes
enthält das sog. Obstruktionsverbot: Ein Gesellschafter, der auf Dauer bewusst
Obstruktion betreibt, d.h. die Zusammenarbeit der Gesellschafter dauerhaft
beeinträchtigt bzw. zumindest behindert, kann aus der Gesellschaft
ausgeschlossen werden.
Im konkreten Fall wird Griechenland vorgeworfen, gegen genau
dieses Obstruktionsverbot verstoßen zu haben, indem die Haushaltsdisziplin
nicht eingehalten und bewusst falsche Angaben über den Zustand der Wirtschaft
und der Staatsfinanzen gemacht wurden.
Ohne an dieser Stelle näher auf diese Vorwürfe eingehen zu
können, ist die grundsätzliche Anwendbarkeit des Rechtsgrundsatzes in Frage zu
stellen. Abgesehen von Problemen der Übertragbarkeit gesellschaftsrechtlicher
Rechtsgrundsätze auf die zwischenstaatlichen Beziehungen im Gefüge der EU und
Unsicherheiten bzgl. der generellen Existenz dieses Rechtsgrundsatzes im
Unionsrecht, setzt die Anwendung eines Rechtsgrundsatzes im Unionsrecht immer das
Vorliegen einer Regelungslücke voraus. Eine solche Regelungslücke liegt an
dieser Stelle jedoch überhaupt nicht vor (s.o.), sodass der Rechtsgrundsatz
nicht anwendbar ist und sich aus ihm folglich auch kein Ausschlussrecht der
anderen Mitgliedsstaaten gegenüber Griechenland ableiten lässt.
Inwiefern der hier genannte Rechtsgrundsatz Bestandteil des
ungeschriebenen primären Unionsrechtes ist und/oder als allgemeiner
Rechtsgrundsatz des Völkerrechtes auch für die EU als Internationale
Organisation gilt, muss demnach an dieser Stelle nicht näher untersucht werden.
Behrens, 121.; Bonke, , 523.
b)
Option
2: Ausschluss nach Art. 7 EUV
Art. 7 EUV III enthält die Möglichkeit, Rechte bestimmter
Mitgliedsstaaten bei einer vom Europäischen Rat festgestellten schwerwiegenden
und anhaltenden Verletzung der Grundwerte des Art. 2 EUV auszusetzen. Fraglich
ist zuerst, welche Grundwerte Griechenland verletzt haben soll. Mir erscheint
hier kein Grundwert gravierend und anhaltend verletzt, sodass ein Rückgriff auf
Art. 7 EUV von vornherein ausgeschlossen ist. Doch selbst wenn eine Verletzung eines
Grundwertes angenommen wird, erscheint die Regelungstechnik des Art. 7 im
Hinblick auf einen möglichen Ausschluss problematisch, denn dieser sieht nur
die temporäre Aussetzung von Rechten, nicht jedoch den finalen Ausschluss aus
ganzen Teilgebieten der Union vor. Zwar mag die Grenze zwischen der
(zulässigen) Aussetzung gewisser Rechte und dem (unzulässigen) Ausschluss im
Einzelfall kaum zu ziehen sein und ist die Nutzung des Euros grds. als Recht i.S.v.
Art. 7 EUV zu klassifizieren, doch erscheint ein temporärer Ausschluss aus dem
Euro-Rau,m nicht praktikabel. Bei der Aussetzung der Rechte wären zudem der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die sog. Unionsbürger-Schutzklausel des
Art. 7 III UA. 1 a.E. EUV zu beachten, nach der die Auswirkungen der Aussetzung
der Rechte auf die Rechte und Pflichten natürlicher und juristischer Personen
berücksichtigt werden müssen. Im Hinblick auf beide Grundsätze erscheint ein
Ausschluss wohl nur dann gerechtfertigt, wenn ein oder mehrere Grundwerte des
Art. 2 EUV in extrem schwerwiegender Weise verletzt werden. Darüber hinaus wäre
gesondert zu untersuchen, ob ein Ausschluss aus dem Euro-Raum überhaupt
geeignet ist, die Verletzung der Grundwerte zu beenden und somit dem
eigentlichen Sinn und Zweck des Art. 7 als Mittel zur Wiederherstellung
wertkonformen Verhaltens gerecht zu werden.
Eine Verletzung derartigen Ausmaßes kann Griechenland zum
jetzigen Zeitpunkt nicht vorgeworfen werden, sodass sie im Ergebnis nicht nach
Art. 7 EUV aus dem Euro-Raum ausgeschlossen werden können.
Schorkopf, in:
Grabitz / Hilf/ Nettesheim, Art. 7 EUV, Rn. 42-46.; Vormizeele, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 7 EUV, Rn. 13 f.
c)
Option
3:Annulierung der Ratsentscheidung, die die Erfüllung der Konvergenzkriterien
durch Griechenland feststellte (Entscheidung 2000/427 EG)
Die Ratsentscheidung 2000/427 EG, die die griechische
Erfüllung der Konvergenzkriterien feststellte, so die Argumentation (u.a. von
Behrens 2010: 121), war rechtswidrig, da Griechenland die Konvergenzkriterien
nicht erfüllte. Diese Rechtswidrigkeit könnte auf dem Wege der
Nichtigkeitsklage vor dem EuGH geltend gemacht werden; im Ergebnis führte die
Feststellung der Nichtigkeit der Entscheidung zu einer Rückstufung
Griechenlands zum „Mitgliedsstaat mit Ausnahmeregelung“ i.S.v. Art. 139 AEUV.
So zwingend diese Argumentation auf den ersten Blick wirken mag, so
kritikwürdig erscheint sie bei genauerer Betrachtung: Zu fragen ist, wer
überhaupt Klageberechtigt wäre und welcher Nichtigkeitsgrund in Betracht käme. Nach
Art. 263 VI AEUV beträgt die Klagefrist einer Nichtigkeitsklage zudem nur zwei
Monate, gemessen ab dem Zeitpunkt, an dem der Kläger über die Handlung, in unserem
Fall die Ratsentscheidung, Kenntnis erlangt. Obwohl die Klagefrist offensichtlich
schon abgelaufen ist, wird gelegentlich argumentiert, durch den permanenten
Normverstoß Griechenlandes, d.h. die fortwährende Nichterfüllung der
Konvergenzkriterien, werde die Klagefrist immer wieder neu eröffnet (u.a.
Behrens 2010: 121). Abgesehen von einer grundlegenden Skepsis gegenüber einer
solchen Sichtweise aus Gründen der Rechtsicherheit kann wohl von einer
Verwirkung des Rechtes auf Eröffnung einer Nichtigkeitsklage ausgegangen
werden, da die fortwährende Anerkennung der Mitgliedschaft Griechenlandes im
Euro einer konkludenten Anerkennung der Gültigkeit der betreffenden
Ratsentscheidung gleichkommt. Darüber hinaus ist ganz generell fraglich, ob
es auf die wirkliche Erfüllung der
Konvergenzkriterien ankommt oder allein auf die Feststellung der Erfüllung
dieser Kriterien durch den Rat. Von einer Überdehnung des Erfordernisses der
Erfüllung der Konvergenzkriterien ist zumindest dann auszugehen, wenn nach der
Einführung des Euro mitgliedstaatliches Verhalten an ihnen gemessen wird. Zwar
verpflichten sich die Euro-Mitgliedsstaaten im Rahmen des Stabilitäts- und
Wachstumspaktes, gewisse Anforderungen an die nationale Wirtschafts- und
Fiskalpolitik zu erfüllen, die Verträge selbst sehen aber keine fortwährende
rechtliche Bindung an die Konvergenzkriterien vor (so auch Seidel 2010: 25). Im
Ergebnis ist folglich nicht davon auszugehen, dass auf Grundlage einer
Nichtigkeitsklage die in Frage stehende Ratsentscheidung annulliert werden
könnte.
Bonke, 521 f.; Meyer, 338.; Seidel 2010, 25 ff.
d)
Option
4: Ungültigkeit der Vertragsbestimmungen aufgrund griechischen Betruges beim
Vertragsabschluss nach Art. 49 WVK
In Anbetracht der nach und nach zu Tage getretenen
Erkenntnisse über gefälschte griechische Angaben zur wirtschaftlichen und
finanziellen Lage des Staates im Zuge der Euro-Einführung kann durchaus davon
gesprochen werden, dass ein betrügerisches Verhalten vorliegt: nur durch die
falschen Angaben wurden die anderen Mitgliedsstaaten dazu veranlasst,
Griechenland in den Euro aufzunehmen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass
die griechische Euro-Einführung auf Sekundärrecht beruht und eben nicht auf vertraglichen Bestimmungen. Beim
Vertragsabschluss selbst hat Griechenland nämlich gar nicht betrogen, bzw. es
kann zumindest nicht angenommen werden, der Betrug habe zum Vertragsabschluss
geführt. Folglich sind die Bestimmungen der WVK, die sich nur auf den
Vertragsschluss beziehen, nicht anwendbar und es liegt kein betrügerisches
Verhalten i.S.v. Art. 49 WVK vor.
e)
Option
5: Erhebliche Vertragsverletzung i.S.v. Art. 60 WVK
Bevor näher auf die Frage eingegangen wird, ob eine
erhebliche Vertragsverletzung durch Griechenland vorliegt, die nach Art. 60 II
lit. c WVK die anderen Mitgliedsstaaten dazu befugen würde, den Vertrag zu
suspendieren, ist zuerst zu prüfen, ob dieser Artikel des Völkervertragsrechtes
überhaupt anwendbar ist. Problematisch erscheint hier vor allem die Eigenschaft
der Europäischen Union als self-contained regime: Gemäß Art. 344 AEUV
verpflichten sich die Mitgliedsstaaten, Streitigkeiten bzgl. der Verträge im
Rahmen der vertraglich vorgesehen Verfahren zu regeln. Konkret sehen die Art. 7
EUV und die Art. 126, 258 f. AEUV Wege vor, um gegen mutmaßliche
Vertragsverletzung durch einen Mitgliedsstaat vorzugehen. Dies führt im
Umkehrschluss dazu, dass Art. 60 WVK allenfalls dann anwendbar ist, wenn alle
vertraglich vorgesehenen Sanktionsmechanismen ausgeschöpft wurden und sich als
strukturell ungeeignet erwiesen haben, vertragskonformes Verhalten
wiederherzustellen. Nur in diesem Sonderfall kommt ein Ausschlussrecht unter
Rückbezug auf Art. 60 WVK als letztes Rechtsmittel überhaupt in Betracht.
Angewendet auf Griechenland kann (noch?) nicht davon gesprochen werden, dass
alle Sanktionsmechanismen erschöpft seien –folglich kann Griechenland auch
nicht auf Basis des Artikels 60 WVK aus dem Euro-Raum ausgeschlossen werden.
Die Eigenschaft der EU als self-contained regime bzgl. der
zulässigen Reaktionen auf Vertragsverletzungen schließt aber nicht generell den
Rückgriff auf die WVK aus: Da die unionsrechtlichen Verträge weder adäquate
Reaktionsmöglichkeiten auf eine nachträgliche Unmöglichkeit der Erfüllung noch
auf die grundlegende Änderung wesentlicher Umstände vorsehen, bleiben die
einschlägigen Artikel der WVK in diesen Bereichen anwendbar.
(Hiergegen könnte wiederum auf Basis von Art. 344 AEUV
argumentiert werden; diese Diskussion kann an dieser Stelle jedoch nicht
ausführlich vorgenommen werden).
Athanassiou, 12 ff.; Bonke, 518 f., 524 f.; Herrmann
2010, 417.; Klein MPEPIL 2006.;
Wegener, in: Callies/Ruffert, Art. 344 AEUV, Rn. 1.
f)
Fazit
Ein Ausschluss Griechenlandes aus dem Euro-Raum ist
rechtlich nicht zulässig. Weder auf Basis des Art. 7 EUV noch auf Grundlage der
WVK lässt sich ein Ausschlussrecht konstruieren.
In der Folge stellt ein Ausschluss einen Vertragsbruch dar,
gegen den Griechenland ggf. vorgehen könnte (dazu näher unter IV. c)
IV. Quo vadis: Die rechtlichen Konsequenzen einer Beendigung der Euro-Mitgliedschaft
Abschließend soll nun ein kurzer Blick auf die rechtlichen
Konsequenzen eines Ausscheidens aus dem Euro-Raum geworfen werden. Hierbei
wird die in Teil III vorgenommene
Unterteilung in drei Unterarten der Beendigung der Euro-Mitgliedschaft
beibehalten.
Die Konsequenzen sind völkerrechtlicher, europarechtlicher,
staatsrechtlicher und nicht zuletzt privatrechtlicher Natur und zudem im
höchsten Maße abhängig von der konkreten Ausgestaltung des griechischen
Ausscheidens und dem kaum vorhersehbaren Verhalten der zentralen Akteure,
sodass an dieser Stelle nur mögliche Konsequenzen ohne Anspruch auf
Vollständigkeit skizziert und auf die einschlägige Literatur verwiesen werden
kann.
a)
Einvernehmlicher
Austritt
Wie oben dargelegt ist ein einvernehmlicher Austritt
möglich, bedarf aber einer formellen Vertragsänderung. Die Folgen einer
Vertragsänderung für die Stabilität der Eurozone und damit für die Zukunft des
Euro sind kaum abschätzbar und eher als Frage der Wirtschaftswissenschaften zu
behandeln. Aus rechtlicher Perspektive erlangt Griechenland im Falle eines
einvernehmlichen Austrittes seine Währungssouveränität zurück und könnte auf
Basis dieser Souveränität eine eigene Währung einführen und die
Umrechnungskurse zum Euro, etc. selbstständig und unabhängig festlegen. Von
einer Wiedereinführung der Drachme kann jedoch nicht die Rede sein: In jedem
Fall handelt es sich um die Einführung einer neuen Währung, selbst wenn
diese den gleichen Namen wie eine frühere Währung trägt.
Eine Rückerstattung bei der EZB nach den Art. 28 – 30
EZB-Statut hinterlegten Kapitals und hinterlegter Währungsreserven stellt im
Falle eines einvernehmlichen Austrittes ebenfalls kein Problem dar.
Problematisch erscheint hingegen die Umstellung der Schulden, d.h. die
Umstellung der Schulden in Euro bzw. anderen Fremdwährungen auf die neue
Währung. Unter Berücksichtigung der zu erwartenden Entwicklung des Wechselkurses
der neuen griechischen Währung zu Fremdwährungen (zu erwarten ist eine massive
Abwertung) ist die Frage der Umstellung im höchsten Maße relevant; gleichzeitig
ist sie als Frage des internationalen Privat- und Verfahrensrechtes aber auch
hochgradig komplex und nur bei genauer Betrachtung der einzelnen
Schuldverhältnisse angemessen zu beantworten. Als Faustregel gilt:
Nur wenn der Wohnsitz des Schuldners und/oder der
Zahlungsort der Schulden in Griechenland liegen, ist eine Umstellung möglich
(näher dazu Proctor 2006, Ernst 2011, Kindler 2012).
Im Ergebnis führt dies dazu, dass wahrscheinlich ein nicht
unerheblicher Teil der griechischen Schulden zu Fremdwährungsschulden würden.
Ernst 49 ff; Kindler, 1617-619.; Proctor, 924-929.
b)
Einseitiger
Austritt
Wie oben festgestellt ist ein einseitiger griechischer
Austritt unzulässig. Praktisch lässt er sich jedoch nicht ausschließen, sodass
auch hier die rechtlichen Konsequenzen sinnvollerweise betrachtet werden
sollten. Gegen den Vertragsbruch des Austrittes könnte die Kommission bzw. die
anderen Mitgliedsstaaten auf dem Wege des Vertragsverletzungsverfahrens der
Art. 258 f. AEUV vorgehen. Im Anschluss an eine etwaige Feststellung einer
Vertragsverletzung durch den EuGH ergäbe
sich eine unionsrechtliche Staatshaftung für Verluste der Mitgliedsstaaten und
ihrer Staatsangehöriger. Eine Rückerstattung des bei der EZB hinterlegten
Kapitals scheidet ebenso aus wie eine Umstellung der Schulden in Euro: Wegen
des Vorrang des Unionsrechtes wären selbst griechische Gerichte gezwungen, das
kollidierende griechische Währungsgesetz nicht anzuwenden. Im Ergebnis ist ein
einseitiger Austritt als Verstoß gegen das Unionsrecht bei fortwährender
Mitgliedschaft in der EU in Anbetracht der potentiell weitreichenden negativen
rechtlichen Konsequenzen als unklug zu bezeichnen und Griechenland aus
juristischer Perspektive nicht zu empfehlen.
Proctor, 929-934.
c)
Ausschluss
Ein Ausschluss Griechenlandes aus dem Euro-Raum stellt
ebenfalls einen Verstoß gegen Unionsrecht dar. In diesem Fall könnte
Griechenland auf den oben näher erläuterten Wegen gegen den Ausschluss
vorgehen. Die Frage, ob die ausschließenden Mitgliedsstaaten eine neue
griechische Währung anerkennen müssten, wäre gesondert zu untersuchen.
Proctor, 934-937.
V. Fazit
Ein Ausscheiden Griechenlandes ist rechtlich nicht so
einfach zu konstruieren, wie uns dies Experten auf allen Kanälen glauben machen
wollen. Die Euro-Mitgliedschaft Griechenlands kann nur einvernehmlich beendet
werden und selbst die Option hat beachtenswerte (potentiell negative)
Konsequenzen.
Inwiefern sich die maßgeblichen politischen Akteure daran
halten werden, steht auf einem völlig anderen Blatt – doch schlussendlich könnten
die rechtlichen Beschränkungen durchaus eine entscheidende Rolle spielen und in
diesem Sinne die Euro-Zone in ihrer Gesamtheit erhalten. Dies wäre ein weiterer
Beweis für die Bedeutung des Europarechtes.
III. Grexit, Wechselkurse und die Zukunft Griechenlands
III. Grexit, Wechselkurse und die Zukunft Griechenlands
Die
vorhergehenden Betrachtungen führen zum letzten Aspekt unserer Analyse: Was
soll wirtschaftspolitisch durch ein Grexit überhaupt möglich gemacht werden und
was wären die Folgen für die griechische Wirtschaft?
Um
dies zu verstehen sind verschiedene Aspekte relevant. In diesem Artikel wird
der Schwerpunkt bewusst auf nur zwei Fragestellungen gesetzt. Erstens soll
erläutert werden, weswegen Parteien und Experten überhaupt ein Grexit fordern.
Hierzu wird aus makroökonomischer Sicht betrachtet, welche Faktoren die
Nachfrage nach griechischen Gütern und somit die Produktion der Volkswirtschaft
beeinflussen. Die Nettoexporte und verschiedene Wechselkursregime werden dabei im
Vordergrund stehen. In einem zweiten Schritt soll abgeschätzt werden, wie sich
Wechselkurs und Produktion nach einem Grexit entwickeln könnten. Keine
Berücksichtigung finden in dieser Analyse andere Aspekte, wie z. B. ein
möglicher Staatsbankrott oder die Auswirkungen massiver Kapitalflucht, welche
einem Grexit vorausgehen könnte. Diese kann daher zwar Antworten auf große
Teile der Problematik geben, muss aber in der Folge ergänzt werden. In dieser
Analyse soll die außerdem griechische Perspektive im Vordergrund stehen – Vor-
und Nachteile anderer Länder durch ein Grexit werden vernachlässigt.
Schaut
man sich zu Beginn den Status Quo Griechenlands an, so fallen zwei für unsere
Analyse relevante Probleme auf: Erstens sah sich Griechenland 2014 mit einem Schuldenberg
konfrontiert, welcher 177,1 % des eigenen BIPs entsprach. Trotz sinkender
absoluter Schuldensumme seit 2011 stiegen die Schulden in Relation zum BIP im
gleichen Zeitraum an. 2011 beliefen sich die Schulden Griechenlands auf ca. 356
Milliarden Euro, welches damals 171,3% des BIPs waren; 2014 ist der
Schuldenstand in Euro auf 317 Milliarden gesunken, während der relative Schuldenstand
um 6 Prozentpunkte auf 177,1% gestiegen ist. (Quelle: Eurostat http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/refreshTableAction.do;jsessionid=-UO1Db-a4S0Y7J-dQ3vRCNMhfcgZZ2faTqQU96lMLcMvN99uIHv1!-1902225176?tab=table&plugin=1&pcode=teina225&language=de,
zugegriffen am 02.06.15)
Dies deutet auf das andere Problem Griechenlands hin,
welches, zweitens, die schrumpfende Wirtschaftskraft des Landes ist.
An
diesem Punkt der Analyse scheint es sinnvoll folgende Annahme über die
Nachfrage nach inländischen (in unserem Fall: griechischen) Gütern zu treffen,
die sich in der Literatur häufig wiederfindet (vgl. Blanchard, Olivier; Illing,
Gerhard. 2006.).
Die
Nachfrage nach inländischen Gütern, welche im Gleichgewicht der Produktion der
griechischen Volkswirtschaft entspricht, setzt sich aus vier Einzelnachfragen
zusammen: Erstens, aus dem Konsum der privaten Haushalte, zweitens, den
privaten Investitionen, drittens, den Staatsausgaben und schließlich viertens,
den Nettoexporten – das heißt der Differenz zwischen dem Wert der exportierten
und der importierten Güter der Volkswirtschaft.
Um
diese Einzelnachfragen zu stimulieren, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zwei
klassische Instrumente um Volkswirtschaften, die sich in einer Rezession
befinden, anzukurbeln sind eine expansive Fiskalpolitik sowie eine expansive
Geldpolitik. Erstere bedeutet nichts anderes, als dass der Staat seine Ausgaben
erhöht oder seine Steuern senkt und somit, z. B. durch Konjunkturprogramme, die
Nachfrage nach inländischen Gütern erhöht. Verstärkt wird die Wirkung einer
expansiven Fiskalpolitik durch den sogenannten ‚Multiplikatoreffekt‘.
Investiert der Staat Geld um beispielsweise eine Straße zu bauen, so bekommen
Bauarbeiter, Ingenieure und Teerfabrikanten am Ende des Tages einen Lohn
ausgezahlt, welchen sie im Restaurant und im Kino ausgeben, deren Personal dann
wiederum mehr Geld zu Verfügung steht und so weiter. Im Falle Griechenlands
gibt es hierbei jedoch zwei Probleme: Konjunkturprogramme und Steuersenkungen
müssen finanziert werden und den griechischen Schuldenberg auszuweiten würde
zahlreiche andere Probleme nach sich ziehen. Außerdem wäre der
Multiplikatoreffekt für Griechenland wahrscheinlich sehr klein; in offenen Volkswirtschaften
wird die Investitionskette nämlich durch den Teil der Ausgaben abgeschwächt,
welcher auf importierte Güter entfällt. Die zweite Möglichkeit ist die einer
expansiven Geldpolitik. Dies bedeutet z. B. dass die Zentralbank eines
Staates ihren Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken von der Zentralbanken Geld leihen
können, senkt. Unter der Annahme, dass diese ihre gesunkenen
Refinanzierungskosten an ihre Kunden weitergeben, werden Investitionen für
Private attraktiver. Auch dieses klassische wirtschaftspolitische Instrument
hilft im Falle Griechenlands nicht. Griechenland befindet sich in einer
Währungsunion in der die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins festlegt.
Diese richtet sich nicht alleine nach den griechischen Bedürfnissen, die griechische
Regierung kann also die Geldpolitik nicht beeinflussen. Darüber hinaus befinden
wir uns in der Situation, dass der Leitzins der EZB schlichtweg kaum mehr gesenkt
werden kann – dieser ist aktuell bei 0,05% (Quelle: http://www.finanzen.net/leitzins/,
zugegriffen am 02.06.15). Dies scheint Griechenland aber auch nicht zur Genesung
zu führen.
Diese
zwei klassischen Instrumente der Wirtschaftspolitik sind also für Griechenland
außer Reichweite oder zeigen keine Wirkung. Doch wie passt die Debatte um das
Grexit in diesen Kontext?
Um
dies zu verstehen wird die vierte Komponente der Nachfrage nach inländischen
Gütern betrachtet – die Nettoexporte NX. Wie bereits erklärt versteckt sich
hinter dieser Bezeichnung nichts anderes als der Wert der Exporte minus dem der
Importe eines Landes. Vereinfachend geht man davon aus, diese werden von drei
Faktoren beeinflusst: Erstens, der ausländischen Produktion
und somit dem Einkommen der ausländischen
Volkswirtschaft; denn wenn in Frankreich alle Menschen mehr verdienen so werden
sie mehr konsumieren, auch (aus Griechenland) importierte Güter. Zweitens, der
inländischen Produktion
und somit dem Einkommen der inländischen
Volkswirtschaft; denn je mehr die Inländer verdienen, desto mehr konsumieren
sie auch importierte Güter (welches, kontraintuitiv, eine negative Auswirkung
auf die Nettoexporte des Inlands hat). Und schließlich drittens, der reale
Wechselkurs ε.
Es
ist davon auszugehen, dass das ausländische Produktionsniveau von der
griechischen Regierung nicht beeinflusst werden kann. Ebenso verhält es sich
mit dem inländischen Preisniveau (die inländische Produktion ist schließlich die
Zielgröße, die beeinflusst werden soll). Somit bleibt nur noch der reale
Wechselkurs als Stellschraube, an der gedreht werden kann. Um aber zu
verstehen, wie und wie stark gedreht werden soll, muss erst verstanden werden,
was der reale Wechselkurs überhaupt ist.
Die
meisten Menschen haben bereits Erfahrungen mit Wechselkursen gemacht. Bietet
eine Wechselstube in etwa an, einen Euro für zwei Dollar zu kaufen, so spricht
man von einem nominalen – in Geldeinheiten gemessenen – Wechselkurs von 2:1
zwischen Dollar und Euro. Dass dieser aber nicht alleine für die Ankauf- bzw.
Verkaufsentscheidung von Exporteuren und Importeuren ausschlaggebend ist soll
hier an einem Beispiel erläutert werden. Wir stellen uns vor, Andi plant als
Deutscher einen längeren Aufenthalt in den Vereinigten Staaten. Beim
Kofferpacken fällt ihm auf, dass der T-Shirt Bestand im eigenen Kleiderschrank
drastisch gesunken ist und er dem dringend entgegenwirken muss. Ob er dies
jedoch noch in Deutschland oder ein paar Tage später in den USA erledigt ist ihm
egal - die T-Shirts sind überall gleich. Als Entscheidungskriterium soll nur
ein Preisvergleich dienen. In der Ausgangssituation ist der Wechselkurs 2
Dollar/Euro (man bekommt zwei Dollar im Tausch für einen Euro), ein T-Shirt in
Deutschland kostet 20 Euro, ein T-Shirt in den USA 35 Dollar. Die
Kaufentscheidung ist klar, Andi wartet ein paar Tage und kauft sich für seine
20 Euro, die er in 40 Dollar umtauscht, ein T-Shirt und hat danach noch 5
Dollar übrig.
Fällt
der Wechselkurs am selben Tag auf 1 Dollar/Euro, so würde sich Andi anders
entscheiden. Für seine 20 Euro könnte er sich nämlich in Deutschland ein
T-Shirt kaufen, in den USA jedoch nicht mehr, er bekommt nämlich nur noch 20
Dollar für seine 20 Euro.
Es
ist allerdings auch ein weiteres Szenario denkbar, welches Andis
Kaufentscheidung abändern würde. Wie zuvor wird angenommen, der Wechselkurs sei
wieder 2 Dollar/Euro. Der Preis für ein T-Shirt in den USA steigt nun jedoch von
35 auf 45 Dollar (in etwa durch Inflation, höhere Steuern oder gestiegene
Produktionskosten des T-Shirtfabrikanten). Andi wird nun das T-Shirt lieber in
Deutschland kaufen – in den USA bekäme er schließlich für 20 Euro zwar wieder
40 Dollar, davon könnte er sich aber kein T-Shirt mehr leisten.
Dieses
Beispiel verdeutlicht, dass nicht nur der nominale Wechselkurs die Import- und
Exportflüsse zwischen Volkswirtschaften beeinflusst, sondern auch das
Preisniveau. Setzt man das ausländische Preisniveau
ins Verhältnis zum inländischen Preisniveau
und verrechnet dies mit dem nominalen Wechselkurs
, so erhält man den realen Wechselkurs ε:
Dieser gibt Auskunft über die wichtigsten Einflussvariablen
von Import- und Exportströmen und ist somit ein Maß für die Wettbewerbsfähigkeit
zwischen zwei Volkswirtschaften. Man kann davon ausgehen, dass ein niedrigerer
realer Wechselkurs sich positiv auf die Nettoexporte einer Volkswirtschaft
auswirkt (der Wert ihrer Exporte steigt, der ihrer Importe sinkt) und umgekehrt
[unter der Annahme, die Marhall-Lerner Bedingung sei erfüllt; vgl. Kapitel 19,
Blanchard, Olivier; Illing, Gerhard. 2006].
Wie
kann ein Staat jedoch den realen Wechselkurs der eigenen Volkswirtschaft
beeinflussen? Dazu gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste ist ein Absenken des
Preisniveaus innerhalb der eigenen Volkswirtschaft. Dies ist beispielsweise
durch sinkende Löhne erreichbar, wie es in Griechenland bereits geschieht: Seit
2009 sind in Griechenland die Arbeitskosten in der freien Wirtschaft um knapp
über 20 Prozentpunkte gesunken.
Dieser
Weg wird jedoch als der deutlich längere Weg im Vergleich zu seiner Alternative
gesehen: dem Absenken des nominalen Wechselkurses. Dieser kann im Normalfall
von der Zentralbank beeinflusst werden und ist sozusagen über Nacht
veränderbar. Für Griechenland wäre das Absenken des nominalen Wechselkurses
also eine Möglichkeit, seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, mehr zu
exportieren und somit einen Aufschwung für seine Volkswirtschaft
herbeizuführen.
1.
Dazu
bräuchte Griechenland allerdings eine unabhängige Geldpolitik, welche innerhalb
der Eurozone unmöglich ist. Dies wäre nur durch ein Ausscheiden Griechenlands
aus der Eurozone, ein Grexit, möglich – dessen Eintreten wir im Folgenden
annehmen um die Folgen zu modellieren.
Nehmen
wir einmal an, die griechische Zentralbank nutzt ihre neu gewonnene
Unabhängigkeit nach einem Grexit um den nominalen Wechselkurs zu senken, so
führt dies keineswegs zur augenblicklichen Genesung der griechischen
Volkswirtschaft. Die Nettoexporte würden sich vielmehr erst negativ entwickeln,
um erst nach einer gewissen Zeit zuzunehmen und schließlich ihr Ausgangsniveau
zu übersteigen. Dieses Phänomen nennt sich J-Kurven Effekt und ist
folgendermaßen erklärbar: Import- und Exportmengen werden vertraglich
festgelegt und sind in der kurzen Frist starr. Ein griechischer Importeur wird
seinem belgischen Geschäftspartner die festgelegte Menge an Produkten abnehmen
müssen, auch wenn der für ihn in Drachme zu zahlende Preis durch den veränderten
Wechselkurs gestiegen ist. Die Verkaufsmenge der Exporteure ist in einem ersten
Moment auch fix, auch wenn das Ausland zu den neuen Preisen wohl mehr
griechische Produkte nachfragen würde, er also mehr verkaufen könnte. Dies sind
die Gründe, wieso sich die Nettoexporte in einem ersten Moment verschlechtern.
Mittelfristig,
das heißt nach einigen Monaten, können Import- und Exportmengen neu verhandelt
werden. Eine Anpassung findet statt und die Volkswirtschaft profitiert von der
gestiegenen Wettbewerbsfähigkeit.
Doch
hieße das für den Fall Griechenland, dass nach einer kurzen Periode die
steigenden Nettoexporte zu einem Aufschwung führen würden? Das bisher benutzte
Modell vernachlässigt eine Gegebenheit, die nun in die Überlegungen aufgenommen
werden soll: den Schuldenberg Griechenlands.
Im
Falle eines Grexits ist es schwer bis in alle Einzelheiten abzuschätzen, was
mit den griechischen Schulden geschehen würde. Sehr wahrscheinlich erscheint,
dass ein Großteil der Schulden in Euro zu begleichen wäre - und zwar nicht nur
Staatsschulden sondern auch Unternehmens- und vor allem Bankenschulden.
Schätzungen zufolge würde eine neu eingeführte Drachme ca. 50% an Wert
verlieren (Alcidi, Giovannini, Gros. 2012.), welches nichts anderes als eine
Verdopplung der im Ausland gehaltenen griechischen Staats- und
Unternehmensschulden bedeuten würde. Zu dem durch die J-Kurve beschriebenen Einbruch
der Nettoexporte in der kurzen Frist würde es also höchstwahrscheinlich zu einem
Einbruch der Staatsausgaben und der privaten Investitionen kommen, welcher die
griechische Wirtschaft zu einem Totalkollaps führen könnte, womöglich bis hin
zum Staatsbankrott. Was das dann wiederum im Einzelnen bedeuten würde, muss,
wie bereits erwähnt, Inhalt einer anderen Arbeit sein.
Text- und Bildnachweise
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3) Wirtschaftswissenschaftlicher Teil
Alcidi, Cinzia; Giovannini, Alessandro; Gros, Daniel:
‘Grexit’: Who would pay for it?, CEPS Policy Brief No.272 (2012)
Blanchard,
Olivier; Illing, Gerhard: Makroökonomie, Pearson Studium, München (2006)
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